Zu voll. Danke, aber Nein danke.
In der Tat, die Menschheit ist komplett anwesend innerhalb des dafür dann doch recht knapp bemessenen Expo-Geländes. Insbesondere, da der Tag unseres Besuches geschmeidigerweise auf dem Mittherbstfeiertag liegt, an dem mit 630.000 Besuchern der bisherige Rekord aufgestellt werden wird. Ich kann das nicht. Ich bin menschenmassophob. Da kann ich nichts für.
Nicht, daß ich es nicht versucht hätte; nicht, daß man sich nicht nach Kräften um Erleichterung unseres Loses bemüht hätte. Wir stehen früh genug in der Eingangsschlange und haben für die Pavillons VIP-Tickets. Ich schaff’ das schon, denke ich und schlage meine Zähne ins Beißholz.
Ich schaff’ es nicht. Zu viele Menschen und kein Entkommen. Als erstes besichtigen wir den britischen Pavillon. Das zentrale Feature ist eine Art großer Seeigel mit vielen Stacheln, der nur deshalb irgendwie interessant aussieht, weil man, wie jeder gelegentliche Betrachter zeitgenössischer Kunst weiß, nur genug von ein und derselben Sache aufhäufen muß, damit’s irgendwie interessant aussieht. Es handelt sich beim Seeigel um die „Kathedrale der Samen“ – in jedem Plexiglasstachel befinden sich Pflanzensamen, gleichsam in Kristall. Das seeigelumfassende Gelände ist kantig, karg und mit grauem Filz ausgelegt. Ein kurzes Magisterstudium der Philosophie und Soziologie immerhin noch auf Lehramt läßt in mir samenhaft die Vermutung aufkeimen, dieses ebenso bahnbrechende wie erschütternde Werk wolle mir bedeuten, die Natur, die liebe, sei doch etwas ganz, ganz Kostbares, und ohne sie lebten wir in einer kargen, grauen, kantigen Welt mit ganz doofem Teppichboden; und siehe, Richtung Ausgang klaffen die Wände in Designerspalten auf, und grüne Pflänzchen, symbolische Kindlein von Mutter Natur, brechen daraus dem Licht entgegen wie das Leben schlechthin. Ich breche auch gleich allerhand Dinge dem Licht entgegen. Ich empfinde tiefe Kollektivscham für meine Spezies und tiefe Liebe zu Benny, dem es nicht anders geht.
Der anschließende schwedische Pavillon ist großteils wie IKEA gestaltet, was als selbstironische Geste soweit nicht ganz unlustig ist, und präsentiert Vexierbilder von renaturierten Müllkippen, was mir, wie ich nach einem kurzen Telefonat mit der Auskunft zu erahnen beginne, bedeuten will, ein hübsches Wäldchen oder Wieschen mit hübschen Blümchen sei irgendwie hübscher als eine Müllkippe. Im Kinderparadies belehrt mich ein interaktives Arrangement, daß gute Kugellager weniger Energie verbrauchen als schlechte Kugellager, was, bei aller mir sowieso nicht angeborenen Bescheidenheit, meinen persönlichen Wissenschaftshorizont nur bedingt herausfordert. Außerdem gibt es Fotos von Schweden zu sehen – „Schweden“ als Mehrzahl von Schwede, nicht als Land verstanden –, und mit Verlaub und trotz tiefer Sympathie für unsere putzigen skandinavischen Nachbarn muß ich sagen, ich befürchte, Schwedengucken wird es kaum auf die Liste der zehn adrenalinintensivsten Extremsportarten schaffen.
Mein Adrenalinspiegel hingegen läßt nichts zu wünschen übrig. Zwangskonfrontation mit Menschenmassen flutet mir Hirn und Organismus derart mit Streßhormonen, daß ich nur durch äußerste Selbstbeherrschung vermeiden kann, Dinge zu tun, die höchstens Herr Manson gutheißen würde.
Einen Pavillon könnte ich möglicherweise noch verkraften, jetzt aber steht erstmal Mittagessen an, und bevor meine Selbstkontrollmechanismen restlos das Handtuch werfen, ergreife ich das Hasenpanier und mache mich vom Acker.
Ich verbringe den Nachmittag stattdessen anregend im Gründungshaus-Museum der Kommunistischen Partei Chinas und im
Shikumen Open House, und als ich auf der Huaihai Lu noch den fünfstöckigen Barbie-Palast entdecke, ist auch mein Bedarf an bizarren Psychedelia zufriedenstellend gedeckt.
Mir wird später von glaubhaften Quellen versichert werden, es gäbe auch undoofe Pavillons, und die Themenpavillons seien gar nachgerade faszinierend; aber es hilft nichts – ich werde warten müssen, bis die Expo auf DVD rauskommt.
China ist ein faszinierendes Land und deine Zeit in Shanghai muss toll und aufregend gewesen sein. Was du hier erzählst ist beeindruckend.
Ich habe einen chinesischen Fernsehsender und sehe mir manchmal was an.