Präziser vielleicht: Deutschland hat gegen Spanien einfach nicht stattgefunden. Es ist an der Zeit, sich daran zu erinnern, daß Fußball mir eigentlich gar nicht so viel bedeutet, nein, wirklich nicht, bloß ist es manchmal nicht leicht, mich daran zu erinnern. Ich wate heim durch welke Flaggen und die Körper schluchzender Menschen, auf die Reeperbahn geschmiert wie Margarine, und denke: Es ist an der Zeit, abzureisen.
Morgen, nein: Heute werde ich mutmaßlich, hoffentlich erfahren, ob ich ein Visum für den Iran bekomme, die hochspannende Frage, die mich seit Wochen umtreibt; bekomme ich keines, muß ich innerhalb von fünf Arbeitstagen einen Plan B entwerfen.
Plan B gestaltet sich begrenzt. Georgien–Aserbaidschan wäre eine Route – man vergesse Armenien, na, man hat Armenien ja schon vergessen, wenn mal wer fragt, wozu Armenien eigentlich gut ist, dem sei gesagt: Es ist im Weg. Sehr. Vier Grenzen, zwei davon dicht. Deswegen wohl trifft man wenig Armenier. Wenn mal wer fragt warum, dem sei gesagt: Türkei Völkermord-differenzen, Aserbaidschan Bergkarabach. Bergkarabach sowas wie die Karottenhose unter den Geopolitkonflikten: War mal „in“, für kurze Zeit, war unverständlich, kommt auch nicht wieder und wird auf sein Revival warten bis zum jüngsten Tag. Währenddessen wird man dadurch nicht reisen können. Georgien ginge, ein Aserbaidschanvisum aber würd’ mich mindestens zehn Tage kosten; dies zeitlich kaum eine Option. Und ob und wann die Fähre Baku–Türkmenbashi fährt ist unergründlich. Geheimnis-voller Kaukasus.
Diese Reise: Ohnehin eine Schnapsidee. Stipendium in Shanghai bekommen, Vorschlag gehört, ich solle doch über den Landweg anreisen, mit der Transsibirischen. Jedoch, so sehr mein Herz an Sibirien hängt, so wenig lockt die Transsib: Separatabteile für Studiosusgeronten und minderjährige US-Backpacker-Mallmuffins, währenddessen draußen: Birken. Wochenlang. Birken. Und Birken. Wenig Menschen machen sich klar, welch schwer erträgliche Überbebirkung Sibirien eigentlich darstellt. Auf Vorschlag geantwortet, wenn schon Überlandanreise, dann aber auf dem interessanteren Weg: Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan. Selbst verblüfft, daß ich das nun wohl zu tun gedenke.
Diese Route bedarf natürlich sieben Monate Zeit für ausreichend Muße unterwegs, ich kann grad sieben Wochen investieren, das ist so unperfekt wie das Leben selbst.
Recherchiere mich seit Monaten wund an Rechner und Atlas. Mein Paß mäandert unterdes seit Wochen durch Konsulate. Ich möchte, wenn ich darf, eine Hymne vorschlagen, die unsere Kinder des Morgens im Klassenzimmer absingen, nicht das Deutschlandlied oder ein Eurovisionsjingle, es wäre die Schengenraumhymne, die des barrierefreien Reisens von hier nach dort,
O Schengenraum, O Schengenraum, wie grün sind deine Blätter, an den Strophen arbeite ich noch.
Und wir sind ja noch die, die in der begehrten Oase sitzen, Gnade der geografischen Geburt, ich bekomme meine Visa natürlich, wenn auch zäh. Ein Freund aus Kamtschatka bereiste unlängst Europa, ich mußte ihm für sein Schengenvisum einen Pakt mit meinem Blut unterschreiben, in dem ich mich verpflichtete, finanziell für alles aufzukommen, was ihm zustoßen könnte, oder seinen Kindern, die er während seines Schengenaufenthaltes zu zeugen in der Lage wäre, oder auch für den Blechschaden eines Autofahrer, dem sein schengengezeugter Enkel dereinst vor den Kühler laufen mag. Wer sich über das vergeigte Halbfinale ärgert, dem sei gesagt: Gott hat uns so überreichlich mit unserem Paß und unseren Geburtsgeokoordinaten gesegnet, wir sollten nicht undankbar sein sondern den ganzen Tag singen.
O Schengenraum, O Schengenraum, wie grün sind deine Blätter.
freue mich darauf, Dir aus meinem kleinen Eimsbüttler Universum hinterherzulesen. Ich wüßte nicht, wen ich lieber da draußen die Abenteuer erleben und darüber schreiben lassen würde. Laß es krachen, vergiß das Rauchen nicht und fühle Dich von Guten Wünschen begleitet.
Immer Dein Claas