Feiner Zug. Ganz prima, schlicht aber sauber, es gibt sogar Klopapier, das relativ regelmäßig aufgefrischt wird, und jede Stunde geht ein Straßenkehrer durch die Gänge. Rauchen kann man überall, ganz besonders im Speisewagen. Verglichen mit dem bulgarischem Holterdipolter geschmeidet dieser unser Zug durch die Landschaft mit der Eleganz eines Nijinsky; nur was die Geschwindigkeit angeht, reichte es wohl selbst bei den Paralympics kaum zu einer ehrenvollen Erwähnung, aber wen schert das schon. Prächtig klimatisiert ist er, und auch wenn man an FENSTER AUF hier nur bedingt glaubt, so finde ich doch tatsächlich einen Schaffner, der gelegentlich TÜR AUF kann.
Freitag, 23. Juli 2010
22./23. Juli. Durch’s wilde Kurdistan
Überhaupt bin ich die Schaffnerflüsterin. Umgehend bin ich wieder mit sämtlichen Schaffnern befreundet, mit zweien unterhalte ich mich morgens bei türkischem Mokka im Speisewagen – einer kann rudimentäres Englisch, der andere rudimentäres Deutsch –, ein dritter lädt mich zum Rauchen in sein Abteil ein, wo er mich so lange auf Türkisch zutextet, bis ich gnadenlos auf Deutsch zurückschwafel, sehr vergnüglich, und ich weiß eh, was er sagen will: Ich sei ach so schön und gar so lieblich, er sei mir mit Haut und Haar in tiefer Liebe verfallen, und wie wär’s vielleicht mit Ficken? Nur um sicher zu gehen, zeigt er auf seinen Ehering, merkt an, daß ich keinen hätte, und sagt: I love you. Ich erkläre ihm weitschweifig und wortreich auf Deutsch, wie überaus überrascht ich desob bin.
Den Wendekreis des Backpackers scheine ich überschritten zu haben. Kein einziger Vertreter dieser Spezies ab Istanbul, erst in Ankara werden doch noch einige versprengte Wagemutige zusteigen.
Meine Abteilgenossinnen verschlafen Tag 1 zur Hälfte, ich kaue Trockenaprikosen und schreibe. Es gibt sogar Free Steckdose, was ich Doofie allerdings erst an Tag 2 entdecke. Draußen wird die Landschaft fremder. Bisher lag alles im vertraut mediterranen Bereich, nun erwache ich zwischen Hügeln und Bergen, die mich in ihrer kargen Schönheit und mit dem weiten tiefblauen Himmel darüber an die Mongolei erinnern. Es besteht kein Zweifel, ich lege Distanz zurück, und täglich wird ein Stück Vertrautheit durch etwas Neues, Anderes ersetzt.
An Tag 2 fahren wir durch’s wilde Kurdistan, Karl May hat nicht gelogen. Nicht nur die karstigen Berge und breiten Ströme machen einen wilden Eindruck, auch die Militärstellungen der türkischen Armee. Kleine Forts im Nirgendwo, manchmal bloß ein paar Geschütze in durch Sandsäcke befestigten Unterständen, andere mit solider Infrastruktur und Panzerfuhrpark. N. sagt, nachts lege die PKK hier nach wie vor Minen. Wir passieren Frachtzüge mit Geschützen, Panzern und Dingen unter grauen Planen darauf.
N. und Katy sind fabelhafte Reisegenossen. N. ruhig und verschmitzt, Katy stets in perfektem Amerikanisch – sie lebt in Istanbul und unterrichtet Englisch – übersprudelnd. Wir teilen unseren Proviant (Katy hat wenig, N. einen ganzen Supermarkt dabei, ich liege irgendwo dazwischen) und reden. Über die Türkei, den Iran, den Rest der Welt, Politik und Privates, Literatur und Lebensgeschichten. N. sagt, seit sie mehr Türkisch spreche, vergesse sie ihr Englisch, es ist jedoch nach wie vor sehr passabel. Sie habe 15 Jahre in der Transportbranche gearbeitet, ein toller Job, ein Männerjob, damals sei sie viel gereist, sie liebe das Reisen. Aber heutzutage könne sie nur noch in die Türkei, mit einem iranischen Paß bekäme sie von keinem anderen Land ein Visum. Wieder mal möchte ich spontan in die Hymne an meine zufällig richtige Nationalität ausbrechen. Sie erzählt, wie schwer es sei als Frau im Iran, in allen diesen Ländern hier, wo, wie sie sagt, Männer die Frauen als Besitz ansehen, als Möbelstück oder Vieh, als Dienstbotin und Brutkasten. Überhaupt hat sie viel zu erzählen, ich höre zu, ich reise wegen genau solcher Gespräche.
An Tag 2 wird der zunächst noch etwas schläfrige Zug lebhafter. Orientpopmusik scheppert durch die Gänge, und man knüpft allerlei Freund- und Bekanntschaften von Abteil zu Abteil. Eine eher konservativ aussehende Teheranerin spricht mich an, allerdings auf Farsi, ob ich in den Iran fahre, und als Katy dolmetscht, hat auch sie viel Unerwartetes zu erzählen. Milan, einer von zwei sehr jungen serbischen Backpackern, gesellt sich danach zu uns ins Abteil, wir reden über Krieg und Frieden. Ein Pummelchen aus Tabriz findet, ich rauche zu viel, fragt mich, ob ich in den Iran fahre und ob ich Angst hätte. Geht so, sage ich; sie sagt, sie schon. Sie kehrt gerade nach einmonatigem Besuch in der Türkei nach Hause zurück.
Draußen ist’s wild und wunderschön. Bisweilen kleine Dörfer, selten kleine Städte, immer viele Vögel: Reiher, Störche, Raubvogelsilhouetten hoch im Blau. Nachmittags halten wir aus ungeklärten Gründen an einem Flußufer in der Wildnis. Alle steigen aus und machen Fotos von einander, dann pfeift die Lok und wir steigen wieder ein. Wem das nicht gut gefällt, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
Wir haben wohl ca. zwölf Stunden Verspätung, doch jede einzelne davon ist nett. Morgens gebe ich uns eine Runde echten Kaffee aus, abends füttert uns N. mit gefüllten Weinblättern aus der Dose. Gegen 18 Uhr sollen wir Lake Van erreichen, den man in fünf, sechs Stunden mit einem Fährschiff überquert. Auf der anderen Seite wartet ein iranischer Zug (hoffe, das tut er auch), und nachts gegen zwei erreichen wir vermutlich die Grenze.
Im türkischen Zug werde ich schon das zweite Buch zurücklassen müssen, Mahmut Doulatabadis „Die Reise“, ich empfinde tiefen Abschiedsschmerz, eigentlich kann ich sowas nicht, Bücher aussetzen, aber es hilft nichts – ich muß Ballast abwerfen. In Istanbul blieben bereits Liu Zhenyuns „Taschendiebe“ zurück, plus der Reiseführer. Bloß die Tangoschuhe, die habe ich dann ehrlich gesagt doch mitgenommen.
Den Wendekreis des Backpackers scheine ich überschritten zu haben. Kein einziger Vertreter dieser Spezies ab Istanbul, erst in Ankara werden doch noch einige versprengte Wagemutige zusteigen.
Meine Abteilgenossinnen verschlafen Tag 1 zur Hälfte, ich kaue Trockenaprikosen und schreibe. Es gibt sogar Free Steckdose, was ich Doofie allerdings erst an Tag 2 entdecke. Draußen wird die Landschaft fremder. Bisher lag alles im vertraut mediterranen Bereich, nun erwache ich zwischen Hügeln und Bergen, die mich in ihrer kargen Schönheit und mit dem weiten tiefblauen Himmel darüber an die Mongolei erinnern. Es besteht kein Zweifel, ich lege Distanz zurück, und täglich wird ein Stück Vertrautheit durch etwas Neues, Anderes ersetzt.
Landschaft
An Tag 2 fahren wir durch’s wilde Kurdistan, Karl May hat nicht gelogen. Nicht nur die karstigen Berge und breiten Ströme machen einen wilden Eindruck, auch die Militärstellungen der türkischen Armee. Kleine Forts im Nirgendwo, manchmal bloß ein paar Geschütze in durch Sandsäcke befestigten Unterständen, andere mit solider Infrastruktur und Panzerfuhrpark. N. sagt, nachts lege die PKK hier nach wie vor Minen. Wir passieren Frachtzüge mit Geschützen, Panzern und Dingen unter grauen Planen darauf.
N. und Katy sind fabelhafte Reisegenossen. N. ruhig und verschmitzt, Katy stets in perfektem Amerikanisch – sie lebt in Istanbul und unterrichtet Englisch – übersprudelnd. Wir teilen unseren Proviant (Katy hat wenig, N. einen ganzen Supermarkt dabei, ich liege irgendwo dazwischen) und reden. Über die Türkei, den Iran, den Rest der Welt, Politik und Privates, Literatur und Lebensgeschichten. N. sagt, seit sie mehr Türkisch spreche, vergesse sie ihr Englisch, es ist jedoch nach wie vor sehr passabel. Sie habe 15 Jahre in der Transportbranche gearbeitet, ein toller Job, ein Männerjob, damals sei sie viel gereist, sie liebe das Reisen. Aber heutzutage könne sie nur noch in die Türkei, mit einem iranischen Paß bekäme sie von keinem anderen Land ein Visum. Wieder mal möchte ich spontan in die Hymne an meine zufällig richtige Nationalität ausbrechen. Sie erzählt, wie schwer es sei als Frau im Iran, in allen diesen Ländern hier, wo, wie sie sagt, Männer die Frauen als Besitz ansehen, als Möbelstück oder Vieh, als Dienstbotin und Brutkasten. Überhaupt hat sie viel zu erzählen, ich höre zu, ich reise wegen genau solcher Gespräche.
An Tag 2 wird der zunächst noch etwas schläfrige Zug lebhafter. Orientpopmusik scheppert durch die Gänge, und man knüpft allerlei Freund- und Bekanntschaften von Abteil zu Abteil. Eine eher konservativ aussehende Teheranerin spricht mich an, allerdings auf Farsi, ob ich in den Iran fahre, und als Katy dolmetscht, hat auch sie viel Unerwartetes zu erzählen. Milan, einer von zwei sehr jungen serbischen Backpackern, gesellt sich danach zu uns ins Abteil, wir reden über Krieg und Frieden. Ein Pummelchen aus Tabriz findet, ich rauche zu viel, fragt mich, ob ich in den Iran fahre und ob ich Angst hätte. Geht so, sage ich; sie sagt, sie schon. Sie kehrt gerade nach einmonatigem Besuch in der Türkei nach Hause zurück.
Draußen ist’s wild und wunderschön. Bisweilen kleine Dörfer, selten kleine Städte, immer viele Vögel: Reiher, Störche, Raubvogelsilhouetten hoch im Blau. Nachmittags halten wir aus ungeklärten Gründen an einem Flußufer in der Wildnis. Alle steigen aus und machen Fotos von einander, dann pfeift die Lok und wir steigen wieder ein. Wem das nicht gut gefällt, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
Sightseeingstop ohne sights to see
Wir haben wohl ca. zwölf Stunden Verspätung, doch jede einzelne davon ist nett. Morgens gebe ich uns eine Runde echten Kaffee aus, abends füttert uns N. mit gefüllten Weinblättern aus der Dose. Gegen 18 Uhr sollen wir Lake Van erreichen, den man in fünf, sechs Stunden mit einem Fährschiff überquert. Auf der anderen Seite wartet ein iranischer Zug (hoffe, das tut er auch), und nachts gegen zwei erreichen wir vermutlich die Grenze.
Im türkischen Zug werde ich schon das zweite Buch zurücklassen müssen, Mahmut Doulatabadis „Die Reise“, ich empfinde tiefen Abschiedsschmerz, eigentlich kann ich sowas nicht, Bücher aussetzen, aber es hilft nichts – ich muß Ballast abwerfen. In Istanbul blieben bereits Liu Zhenyuns „Taschendiebe“ zurück, plus der Reiseführer. Bloß die Tangoschuhe, die habe ich dann ehrlich gesagt doch mitgenommen.
Heute habe ich was für Sie, nämlich ein probates Gegenmittel gegen den Abschiedsschmerz von zurückgelassenen Büchern: Holen Sie sich vor dem Liegenlassen für jedes Buch eine ID bei bookcrossing.com, schreiben Sie die (und einen netten Satz) hinein, und mit ein bisschen Glück erfahren Sie so, dass und wohin auch Ihre Lektüre weitergereist ist. Das ist so spannend, dass man sich nach einiger Zeit richtig drauf freut, das liebgewonnene Werk endlich "freilassen" zu können.
Gute Weiterreise!
G.K.
keine Ahnung, wie ich auf dieses Blog gelandet bin und eigentlich vergesse ich solche Blogs nach Sekunden. Aber der Artikel vom 19.07. hat mich irgendwie sehr gut unterhalten und seither komme ich täglich wieder und prüfe, ob es vielleicht doch nur ein einmaliges Erlebnis war... Aber es bleibt unterhaltsam. Einfach nett. Ich komme wieder - keine Frage! Gute Reise!