Kann man aber nicht, denn es gilt ja zu klönen. An Deck, meistenteils auf dem Boden, Stühle sind knapp, bilden sich Grüppchen in wechselnden Formationen, reden, palavern, trinken Tee, rauchen. Familien picknicken, Frauen bauen Deckennester für ihre Säuglinge. N. gesellt sich zu einem Kreis iranischer Männer und verstrickt sich in eine erregte Debatte, es geht um Politik und Religion, erzählt sie mir später. Katy freundet sich mit drei Typen im Skaterlook an, läßt sich von ihnen über das letzte Jahr in Teheran berichten, einiges übersetzt sie mir, ich fluche trotzdem, daß ich diese Sprache nicht verstehe. Neben uns haben sich junge Teheraner Hipster mit einem griechischen Travellerpärchen zu einer Plaudergemeinschaft formiert, ein ziemlich gebraucht aussehender Typ in Camouflagehose sitzt auch dabei, die Gruppe wächst stetig, man trinkt Tee und raucht.
Die bizarrste Lebensform an Bord sind zwei Schweizer, die sich mit ihren rasierten Schädeln ohnehin zum Verwechseln gleichen, sie tragen aber irrsinnigerweise zudem stets Partnerlook, wir haben sie gestern schon gesehen. Katy spricht sie irgendwann an, kommt aber nicht dahinter, was das wohl zu bedeuten hat. Die beiden Serben gehören ebenfalls weiterhin zur Statisterie, sie werden übrigens Teheran links liegen lassen und gleich nach Isfahan und Shiraz weiterfahren; sie zeigen sich überaus verdutzt, daß ich das umgekehrt handhabe.
Mit N. stehe ich später rauchend an der Reling. Der Mondschein treibt sich im Kielwasser um. Im See, sagt sie, lebe ein Monster, wie in Loch Ness. Wir würden es beide gerne sehen. Denn die schrecklichen Monster, sagt sie, die sind alle in der Politik. Wir reden über Politik. Wir reden über ihren Freund, er ist zehn Jahre jünger – sie ist 47 – und derzeit in Istanbul. Vielleicht kommt er nicht zurück. Wir reden darüber, wie schwer es ist für starke Frauen, akzeptiert zu werden oder gar einen Kerl zu finden; und wie es das wert ist, weil es nichts Cooleres gibt, als stark und autark zu sein. Das ganze Prinz-küßt-Dornröschen-wach-Prinzip schien mir nie erstrebenswert, sage ich, überhaupt war ich an Prinzen und Prinzessinnenhaftigkeit nie interessiert. N. sinniert kurz und sagt mit tiefer Überzeugung:
I like Shrek. Dabei grinst sie so durchtrieben, daß Katy und ich uns einen Ast lachen. Ich weiß jetzt schon, wie sehr ich die beiden vermissen werde.
Es wird kühl. Wir wärmen uns drinnen, dort drehen drei Männer die (türkische? iranische?) Musik auf und beginnen zu tanzen, die Passagiere klatschen den Rhythmus und johlen erfreut – bis ein türkischer Hodscha befindet, dies gefährde die Sittlichkeit seiner Familie. Es entflammt ein hitziger Disput, N. an vorderster Front, das Amüsemang bleibt zwar unterbunden, ich habe trotzdem das Gefühl, daß N. den Mann gerade theologisch gehörig zur Schnecke macht; wieder quält es, kein Wort zu verstehen.
Wir sind kurz nach Mitternacht am anderen Ufer. Der Zug nicht. Wir warten ein knappes Stündchen am Kai und trinken schlechten Tee, der obligatorisch ist, will man die Plastikstühle & -tische belegen.
Dieser Zug jetzt ist iranisch, was sich u. a. dadurch bemerkbar macht, daß N. mir erstmal erklären muß, bei den Ornamenten auf den Milchglasscheiben der Abteiltür handele es sich um Zahlen, nicht um florale Muster. Er ist sehr viel plüschiger als der nüchterne türkische Zug, was bedingt, daß er auch etwas mottiger anmutet, aber sehr gemütlich. Beim Getümmel zur Abteilvergabe hat N. uns resolut drei gemeinsame Platzkarten besorgt, und eine ältere Dame hat sie auch noch unter ihre Fittiche genommen. Im Abteil sind vier große blaue Päckchen deponiert, die ich für Fallschirme halte, es sind aber die Decken und Kissen, blöd eigentlich, die oberen Kojen sind so schwindelerregend hoch, ein Fallschirm wäre nicht unangebracht gewesen. Wir legen uns schlafen, im vollen Wissen um die Vergeblichkeit dessen.
Vier Uhr morgens, türkische Grenze. Alle Mann raus. Im vollgestopften Wartesaal ist es zu stickig, draußen ist es zu kalt, in der Schlange geht gar nichts voran. Eine zweistündige Exerzitie in Minderspaß, bis wir unsere Stempel haben. Wir Frauen – von denen einige bis eben in pinkfarbenen Paillettentops daherstöckelten – haben uns zur Feier des Morgens jetzt in Kopftücher und Manteaus oder Vergleichbares geworfen, eine interessante Kollektivmutation. (
Manteaus sind diese oberschenkellangen Mäntel, die es fortan zu tragen gilt.)
Die iranische Paßkontrolle hingegen besteht dann bloß aus dem schläfrigen Rausreichen der Pässe zur Abteiltür; die Zollkontrolle besteht für mich, die ich als doofe Touristin natürlich nicht gemerkt habe, daß es einen Gepäckwagen gibt, aus dem Satz „Welcome to Iran!“. Kurz darauf steigt Katy aus. Ihrer Ansicht nach hat sie mich übrigens beim Rennen um den Stupid-Tourist-Award geschlagen, sie hat bei der Planung ihrer Urlaubswoche irgendwie übersehen, daß sie drei Tage hin braucht und drei zurück, was exakt Null Tage Aufenthalt bei ihren Freunden ergibt. Wir tauschen in Eile Mailadressen und sehen uns wahrscheinlich nie wieder.
Wir anderen drei schlafen, bis es zu warm wird im Abteil, jedenfalls in den oberen Kojen, ich komme zum Weiterschlafen runter. In Tabriz haben wir Aufenthalt, Beine vertreten, Zigaretten kaufen, ich unterhalte mich lang und nett mit dem Bahnhofschef – ich und die Eisenbahner! – über alles Mögliche. Er will von mir technische Details zum deutschen Bahnsystem erfahren, mit dem ich mich irgendwie gar nicht auskenne, außer natürlich, daß die Fenster nicht aufgehen.
Wir lesen, schlafen, dösen. Ab und zu werden uns Mahlzeiten ins Abteil gebracht, zu der Gelegenheit tüddeln wir uns hektisch die Kopftücher um, schon schrullig, hat uns doch derselbe Schaffner noch von Lake Van bis zur Grenze haarig und in Hemdchen gesehen. Gegen zehn richten wir die Betten her, denn unsere Ankunft in Teheran steht immer noch in den Sternen.
Schlafen kann ich trotzdem nicht. Um vier endlich die Lichter Teherans, unser Zug genießt die Einfahrt in die Stadt ausgiebig und läßt sich Zeit, um fünf erst stehen wir endlich am Bahnsteig. Der doofe Tourist ist jetzt das Cleverle und erspart sich das Warten auf’s Gepäck, das im Flughafensystem in der Ankunftshalle eintreffen wird. Ich verabschiede mich innig von N., und das ist das eigentlich Schlimme am Reisen: Die Abschiede, all die Abschiede.
hier im saftig grünen deutschen Paradies sitze ich, ferienfaul und müde, und verfolge mit GierSpannungWehmutNeid deinen Bericht. Und ich denke an meine Mutter, die dereinst 1968 eben diese Strecke bis Afghanistan fuhr und ich denke daran, mit ihr zusammen noch einmal bis nach Sonstwostan zu reisen.
Doch Fernweh ist ein leicht zu erzeugendes Gefühl. Das haben so viele. Aber tatsächlich den Zug zu besteigen, das braucht verdammt viel Willenskraft!
Bitte schreib soviel deine Accus hergeben!
Im Herzen dabei: Sophia
Und verdammt praktisch - so musst du dir bei Wiederkehr im Heimathafen keine Schrunden in die Mundwunkel sabbeln, weil wir alle ja schon einigermaßen informiert sind! Trotzdem: Mehr davon! MEEHR!
In Hamburg hat's mal geregnet. Mehr muss man von hier nicht wissen.
Viel wilde Widerfahrnisse & wenig Ganoven & dazu immer eine gute Fluppe im Mundwinkel wünscht Frau K.