Das mag zwar Notwendigkeiten geschuldet sein, wird dadurch aber keineswegs schöner. In Khaki-Cargohosen und übersolidem Schuhwerk, Expeditionsrucksäcke in Hinkelsteingröße auf den Rücken, stiefeln wir weltweit an den Prada-Läden und Lounge-Cafés der Innenstädte vorbei als wären wir im Begriff, auf der Suche nach Colonel Kurtz den Mekong hochzurudern. Gottlob bewege ich mich gerade in heißem Klima, sonst trügen wir auch noch alle Funktionsjacken.
Es ist schier unmöglich, dem zu entkommen. Wir beugen uns dem Diktat würdeloser Pragmatik. Wir brauchen Hosentaschen, viele, viele Hosentaschen, für all die Deppenaccessoires, die zu unserer Existenz untrennbar gehören. Straßenkarten. Reiseführer, in 99% aller Fälle der Lonely Planet. Die Wasserflasche. Wir haben immer eine Wasserflasche dabei, selbst während des Tauchkurses. Jeans sind keine Alternative – viel zu warm, mangelhaft betascht, und nasse Jeans trocknen nie wieder.
Wir müssen uns dort auf der Farbskala bewegen, wo Schmuddel nicht gleich so stark auffällt. Wobei es Cargohosen ohnehin nicht in Pink gäbe. Einem Farbphobiker wie mir ist es zudem verwehrt, wenigstens mit dem Oberteil den Eindruck abzumildern, ich sei auf der Suche nach den Quellen des Nils. Schwarz, von mir favorisiert, ist zu warm. Grau, oliv und khaki, zu Hause oft und gern getragen, wirken unterwegs idiotisch. Ich habe mir allein deswegen einige leichtbunte Hemdchen zugelegt, in denen ich mich daheim nie blicken ließe. Helfen tut’s trotzdem nicht.
Jedes muntere Müsterchen wird verdeckt von den halbmeterbreiten Rucksack-tragesystemgurten. Wir haben zwei Rucksäcke, den Trekkingrucksack mit unseren Habseligkeiten und den in der Fachsprache sogenannten Day-Pack mit dem Tagesbedarf – Kamera, Wasserflasche, Lonely Planet, Funktionsjacke. Beide sind unvermeidlich. Rollkoffer havarieren auf unebenem Boden, Reisetaschen stehen seitlich zu weit ab. Und wer je versucht hat, den Day-Pack durch eine Umhängetasche zu ersetzen, wird von seinen Reisezielen wenig mehr zu sehen bekommen als die örtliche Orthopädie.
Auf dem Weg zu und vom Bahnhof bzw. Flughafen verwandeln wir uns deswegen in die noch würdelosere Untergattung des Frontbeutlers. Da der Hinkelstein unseren Rücken okkupiert, müssen wir den Day-Pack wie einen Schwangerschaftsbauch vor uns hertragen. (Die unterste Form des Frontbeutlers ist übrigens der, der seinen Hinkelstein zwar schon deponiert hat, aber aus Angst vor Tunichtguten und Langfingern in Basargassen und öffentlichen Verkehrsmitteln freiwillig frontbeutelt. Vor diese Option gestellt, bevorzuge ich das Risiko eines Wertsachenverlustes und behalte lieber meine kümmerliche Restwürde.)
Immerhin harmoniert unser Deppenoutfit vorzüglich mit unserem jammervollen Gesamtauftritt. Der Segnungen eines kundigen Reiseleiters nicht teilhaftig, irren wir stumm und dumm über die Kontinente. Stets haben wir irgendein dringendes Bedürfnis, es sind immer dieselben: Wir suchen Bahnhof/Bus/Hotel/Internetcafé/Geldwechsler/Bankomaten/einen Ort, an dem wir unseren Rucksack deponieren können. Wir müssen mal Pipi (die vielen Wasserflaschen). Wir haben Hunger. Wir haben keine Ahnung. Selten beherrschen wir in der Landessprache mehr als die Wörter Hallo, Tschüß und zu teuer; mit Ausnahme des Satzes Darf ich hier mal Pipi machen, den können wir in 35 Sprachen.
Trotz Studium des Lonely Planet und demütigen Bemühens ecken wir in kultureller Unwissenheit überall an, weil wir ja unbedingt überall hinmüssen und uns nicht mit Kirchen und Schlössern begnügen können. Dann lächeln wir dümmlich und stammeln Hallo mit falscher Betonung. Wir betonen immer alles falsch, weil wir die Umschrift im Kauderwelsch-Sprachführer nicht verstehen; weil wir auch alle Orte, die wir suchen, nicht aussprechen können, versteht man noch weniger, wohin wir wollen. Im Zweifelsfalle weist man uns den Weg zu einem Hotel, der Toilette oder dem Teppichladen von Alis Cousin.
Daß wir trotz unserer plakativen Lebensunfähigkeit nicht umgehend aussterben, liegt daran, daß wir in unserer unansehnlichen, hilflosen Erbarmungswürdigkeit dem Häßlichsten Hund der Welt gleichen, einem bizarren Pinscher, dessen Bild unlängst durch die Presse ging. Wir sind so albern, doof und widernatürlich, man kann anscheinend nicht umhin, uns irgendwie putzig zu finden. Und so schlägt uns allerorts liebevolles Mitleid entgegen, eine uferlose Bereitschaft, uns zu helfen, zu begöschern, den Weg zu erklären; es ist ja nicht zu übersehen, wie dringend wir Hilfe und Zuneigung benötigen, man wiese ja auch keinem Dodo die Tür.
Ich übrigens habe mich jahrzehntelang wenigstens dem klobigen Schuhwerk verweigert, in einem sinnlosen Akt des Aufbegehrens. Ich ging durch die Welt auf blutenden Füßen. Bis Sofia. Dort wurden die Schmerzen der schwärenden Wunden so groß, ich stand vor der Wahl, entweder auf Beinstümpfen in Shanghai anzukommen oder zu kapitulieren. Ich humpelte in den nächsten Schuhladen und erwarb das letzte mir noch fehlende Zubehör: Die Schwachmatensandale. Ihre Optik gemahnt an die Bereifung eines Sattelschleppers, aber oh wie läßt es sich wunderbar darin laufen! Mir war nicht bewußt, daß eine solch schmerzfreie Art der Fortbewegung dem Menschen überhaupt gegeben sein kann. Federnden Schrittes werde ich meinen Weg zum Bosporus nunmehr zu Fuß fortsetzen und mich in ebenjenem umgehend ertränken, um der unerträglichen ästhetischen Schmach ein Ende zu setzen.