Teheran. Teheran ist groß, aufregend, spannend, frappierend lebensfroh, unglaublich widersprüchlich, verwirrend und trotz schon im Vorfeld gründlicher Hasenfußphantasmenrelativierung immer noch ganz anders als irgendwie erwartet.
Verblüffung zum ersten: Die Stadt erweist sich als absolut user-friendly. Geschriebenes Farsi ist mir natürlich reines Ornament, ach, dachte ich, wie würde ich mich noch nach den guten alten Zeiten sehnen, als alles so praktisch in Kyrillisch beschriftet war. Doch siehe: Alle Straßenschilder sind auf Farsi
und Englisch, alle wichtigen Hinweisschilder ebenfalls, enorm viele Leute sprechen zumindest ein bißchen Englisch und eine Menge sogar ein ganz fabelhaftes. Zudem balgt man sich geradezu darum, dem doofen Touristen weiterhelfen zu dürfen.
Mein Hotel liegt in Teherans Mitte, nahe der Metrostation Sa’adi (ein Dichter), wunderbar für einen Stadtläufer wie mich – die Teheraner werden mich alle für von der Muffe gepufft halten, wenn ich erzähle, wieviele Kilometer ich täglich so zurückzulegen pflege. Im Süden das alte Zentrum der Stadt, nördlich der moderne Teil. Ich laufe zunächst zum Ferdosi Square (auch ein Dichter, man erklärt mir, hier hießen alle Straßen entweder nach Dichtern oder nach Märtyrern; ist ja eigentlich für jeden Geschmack was dabei) und wechsele dort Geld. Total unproblematische Aktion, Geldwechsler spricht perfektes Englisch und reicht mir zweieinhalb Kilo Scheine, wir plaudern und scherzen, er sagt zum Schluß „Welcome to Iran!“. Von den 15 Millionen Teheranern werden mich innerhalb von vier Tagen etwa ein Drittel persönlich im Iran willkommen geheißen haben.
Ohne die diversen paranoiainduzierenden Aspekte des iranischen Staates vergessen zu wollen (wer könnte das), muß man konstatieren: Die Stadt zeigt dem Besucher ein paranoiafreies Gesicht. In nicht vielen fernen Städten habe ich mich so unbefangen gefühlt. Meine touristenimmanente Dusseligkeit (siehe auch:
Lebensform Tourist, demnächst ganz bestimmt auf diesem Blog!), die mir sonst immer unheimlich peinlich ist, fällt kaum ins Gewicht, ist jedermann so freundlich. Der Faktor
Blöde Anmache steht bei Null, ein höchst rares Geschenk für die alleinreisende Frau. Ich werde anscheinend bloß einmal beim Einkaufen mit einem Touristenpreis über’s Ohr gehauen, und da steht auch schon wer neben mir, der sich darüber mordsmäßig aufregt. Die Kriminalität ist wohl für eine so große Stadt eher niedrig, das Straßeüberqueren viel weniger suizidal als im
Lonely Planet beschrieen. Die ernstlichste Gefahr für Otto Normaltourist, so er nicht darauf besteht, im Stars-and-Stripes-Bikini und mit Holsten-Dosen jonglierend die Hauptstraße entlang zu rennen, besteht meiner Einschätzung nach darin, vor lauter Beschämung über so viel Freundlichkeit, Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft einfach zu kollabieren.
Fast jeder lächelt mich an, jeder Zehnte spricht mich an. Meist auf Englisch, manchmal auf Farsi, dann beschränkt sich das Gespräch zwar auf die zwei einzigen Worte, die wir teilen:
Aleman und
Tourist, gestaltet sich darum aber nicht weniger herzlich. Arme Serben, die Teheran umfahren haben, weil es so laut und luftverschmutzt sei und so sehenswürdigkeitenarm im Vergleich zu Isfahan und Shiraz, sie verpassen die wahrliche Sehenswürdigkeit: Die Teheraner.
Vom Ferdosi Square laufe ich weiter Richtung Valiasr Avenue, eine Nord-Süd-Achse und Lebensader der Stadt. Zur Spaßverstärkung (siehe:
Das Kennenlernen von Städten) benötige ich heute mal Haarnadeln, ich nämlich habe zwar kein größeres Problem damit, ein Kopftuch zu tragen, meine Haare aber liegen bereits nach fünf Minuten in einem Partisanenkrieg mit den Ding und sind kaum zur Räson zu bringen.
Vielleicht kurz zum Aufreger Kopftuch – vor meiner Abreise sagte mir jemand gar, sie würde allein des Kopftuchzwanges wegen nie in den Iran fahren. Ich nun trage in Sonnenstichgebieten meist sowieso eines, weil mir Hüte lästig fallen (allerdings am Hinterkopf gebunden, nicht unter dem Kinn, was einen nennenswerten Temperaturunterschied ausmacht), und ich würde, wenn jeder Tuch trägt, auch freiwillig mittragen, es erschiene mir schlicht als eine Frage der Schicklichkeit, und letztere, wie jeder Reisende weiß, variiert halt von Kultur zu Kultur, bummsti, fertig ist die Laube. Es erntete ja auch der Herr aus Papua, der dort mit seiner Penishülse einen feschen Eindruck macht, bei uns auf der Mönckebergstraße eher scheele Blicke. An meinem Kopftuch zuppel ich die ersten zwei Stunden zwanghaft rum, dann hab ich’s eigentlich für den Rest der Reise vergessen. Wie man sich von einem derartigen Kinkerlitzchen vom Reisen abhalten lassen kann, ist mir schleierhaft, kleiner Scherz.
Die Temperaturen liegen allerdings auch bloß in den Dreißigern, letzte Woche waren’s hier zehn Grad mehr, und ab +40° sind mir schon die eigenen Augenbrauen zu warm. Meine Manteauvariante, eine Art übergroßer Hemdenmantel, den ich aus irgendeinem Grund besaß, ist jedenfalls übertrieben gewählt, viel zu schwer, zu dick, zu heiß, ich bin am ganzen Körper schwitzig und backsig. Da ich nicht glauben will, daß eine solch permanente Backsigkeit gottgefällig ist, notiere ich Manteaukauf zu den Haarnadeln auf meine Einkaufsliste. Nach dem Erwerb zweier ultraleichter Baumwolldinger – ein blaugraues sackhaftes Büßerhemd und ein elegantes schwarzes aus der Produktionslinie von H&M – geht’s schon besser. Eigentlich keine große Sache.
Aber Zwang ist halt Scheiße. Immer. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das sehe nicht nur ich so. Wer mal ein paar richtig bocklos getragene Kopftücher sehen will, der fahre nach Teheran. Weniger kann man ein Kopftuch nicht tragen, ohne daß es per definitionem zum Halstuch wird. Ähnliche Phänomene zeigen sich bei den Manteaus. Keinesfalls huscht die Teheranerin notwendigerweise im Tschador durch die Schatten. Nach meinen viertägigen Observationen würde ich sagen, die Weiblichkeit teilt sich in zirka: Ein Viertel Tschadorträgerinnen, ein Viertel sehr konservativer Hijab, ein Viertel dezente Eleganz, ein Viertel heiße Feger.
Den Eindruck, sie ließen sich so leicht die Butter vom Brot nehmen, machen die meisten dabei nicht. Die Studentinnen, mit denen ich rede, studieren zumeist hartes Zeug: Ingenieurswissenschaften, Informatik, Biotechnologien, Wirtschaftswissenschaften. Keine ihrer Mütter ist Hausfrau, leitende Positionen haben hingegen viele. Auch ich scheine mit dem Upgrade meines Iranbildes eine Betaversion erwischt zu haben, die dem Geschehen noch ein, zwei Jahrzehnte hinterherhinkt.
Die Gespräche. Teheran ist ein Traum für jemanden wie mich, der hauptsächlich der Menschen wegen reist und so hemmungslos neugierig ist. Gleich am nächsten Square vor dem Shahr-Theater, wo gerade ein internationales Puppenspieler-Festival stattfindet – auf dem Rückweg sehe ich dort eine Performancetruppe aus Berlin –, spricht mich Ali an, ob ich Tourist sei (was ja schließlich schwer zu übersehen ist), Welcome to Iran. Er studiert an der Uni und unterrichtet dort Englisch, wir setzten uns im Schatten der Bäume auf eine Bank und unterhalten uns ein knappes Stündchen, dann muß ich los, ich bin unterwegs zum sehr netten Menschen vom Teheraner Reisebüro, um ihm mal persönlich wenigstens ansatzweise angemessen zu danken.
Ich komme kaum dazu. Er hat derart viele hilfreiche Tips zur Teheranerkundung für mich, nicht nur in Sachen Sehenswürdigkeiten, sondern ebenso für Künstlercafés, Insider-Restaurants, Galerien, er schreibt mir alles auf Zettel und ich merke: Vier Tage sind für Teheran ein Witz. Ich bräuchte zwei Wochen, mindestens.
Weil ja die Hälfte der Zeit an all die Begegnungen geht. Ich komme, als ich das
Rastintours-Büro verlasse, nicht mal bis zur nächsten Straßenkreuzung, als mich zwei Mädchen ansprechen, ob ich Tourist sei. Man muß dazu mal sagen, daß ich nicht touristiger aussehen könnte auch wenn ich ein Pappschild mit zweisprachiger „Tourist“-Beschriftung trüge. Es gibt von meiner Spezies hier offensichtlich nicht allzuviele, um nicht zu sagen: Keine. Die, die kommen, kommen in Gruppen und fahren nach Isfahan und Shiraz. Selbst Herr Yuson, der sehr nette Mensch vom Teheraner Reisebüro, hatte seit geraumer Zeit nur einen Individualreisenden, einen Typ auf Geländewagentour.
Nasim, 25, studiert auf Elektronikingenieur, engagiert sich, wenn ich das richtig verstehe, bei der Couch-Surfer-Website und wartet auf ihr Visum für ein zweijähriges
Postgraduate-Studium in Schweden. Ihre Schwester Negar ist fünf Jahre älter, hat BWL studiert und kommt gerade aus dem Büro, ihr recht gestrenges Kopftuch erklärt sie ungefragt mit Arbeitskleidung. Beide heißen mich im Iran willkommen und entschuldigen sich erstmal, daß sie nicht die ganzen nächsten Tage Zeit hätten, mir die Stadt zu zeigen, aber wenigstens jetzt, falls ich nichts anderes vorhätte, müßten wir unbedingt zusammen essen gehen, sei ich schon iranisch essen gewesen?
Das muß man sich mal vorstellen. Wir schlendern durch den abendlichen Trubel der Straßen zu dem ihrer Meinung nach besten Restaurant, das aber geschlossen hat, also schlendern wir zum Zweitbesten. Währenddessen betreiben wir ein bißchen Window-Shopping, und als ich die beiden frage, was für Musik sie so hören, spielt mir Negar auf ihrem Handy einen Querschnitt der persischen Populärmusikgeschichte vor. Es ist ziemlich lustig, wir haben Spaß, vor allem, als mir etwas aufgespielt wird, das, so ich die Erklärung richtig verstehe, wohl ganz, ganz schlimme Prollmusik sein muß.
Das Restaurant liegt im Souterrain, was anscheinend viele Restaurants so halten, es hat überkandidelt gartenhafte Dekoration und außer Tischen jede Menge üppige Lungerecken, wo man sich auf Teppichen und Kissen fläzt, von einer Plastikdecke ißt und hinterher Tee trinkt und Qalyan, Wasserpfeife raucht. Ich halte das Lokal schon für gut belegt, vor allem die Podeste mit den Lungerlagern, aber die Schwestern erklären mir, es sei noch zu früh, der Teheraner sei eine Nachteule und gehe erst ab frühestens zehn zum Essen aus.
Wir bestellen zwei Kebabs und teilen, dazu gibt es verschiedene Reisvarianten, Lavash, ein pappendünnes Brot, salzigen Joghurt mit, wahrscheinlich, Frühlingszwiebeln darin, und einen Joghurtdrink, in dem ich Dill vermute. Obgleich ich hinterher mit Zähnen und Klauen um die Rechnung kämpfe, habe ich keine Chance, die Gegenseite ist zu zweit, eine hält mich in Schach, die andere bezahlt.
Unbedachterweise sage ich beim Verlassen des Restaurants, ich würde ein bißchen zu Fuß heimlaufen wollen – ich bin gemästet! –, was natürlich zur Folge hat, daß die Schwestern, die noch eine Stunde Metrofahrt in die Vorstadt absolvieren müssen, darauf bestehen, mich noch ein gutes Stück beim Spaziergang zu begleiten. Es ist gegen elf, und man hat das Gefühl, die Stadt laufe sich gerade erst warm. Wir gehen vom Haft-e-Tir-Platz nach Süden, kommen an der berüchtigten ehemaligen US-Botschaft vorbei, deren Gelände sich über mehrere Häuserblocks erstreckt. Gegenüber steht eine modernistische Kirche. Dann steigen wir in die U-Bahn, fahren zwei Stationen bis Sa’adi.
Fliegende Händler gehen durch die Waggons und bieten allerhand Waren feil, ein Knirps hält uns bunte Zettelchen hin, es sind Gedichte von Hafis, die man für eine Art Orakel verwendet; als mir das erklärt wird, ist der Knirps nur leider schon weg, schade, ich hätte gern welche gehabt. Ich danke innerlich meinem Hamburger Lieblingsperser für die Leseliste, die er mir aufgestellt hat, dank ihrer bin ich nun nicht gänzlich unbewandert in all der ganzen wunderbaren persischen Literatur.
Nasim und Negar steigen an meiner Station mit mir aus, um sich nicht zwischen Tür und Angel verabschieden zu müssen. Habe ich schon erwähnt, wie das so ist beim Reisen, daß jede Begegnung unweigerlich mit einem Abschied verbunden ist? Reisen kann ich ganz gut, bloß an den Abschieden muß ich irgendwie noch arbeiten.
danke schön:)
Gute Reise noch!