oder: Do you do invisible mending?
Wer immer noch die Vorstellung hegt – und bei meinen diversen Gesprächen im Vorfeld der Reise schien mir diese nicht gänzlich unverbreitet – , Ali Normalteheraner sei den ganzen Tag mit beten, steinigen und Uran anreichern beschäftigt, dem kann ich hiermit berichten: Dem ist nicht so. Er macht auch mal Fofftein. Heute zum Beispiel. Es ist Feiertag, Geburtstag des 12. Imam, des Mahdi. Eine gute Gelegenheit, es genauso zu halten. Und was soll ich sagen, vom Fofftein machen versteht er was, der Teheraner.
Dienstag, 27. Juli 2010
27. Juli. English for the Iranian Passenger
Ich nehme die Metro nach Norden, so weit sie bislang geht, und verbasele es beinahe, dann auch auszusteigen, denn auf den Fahrplänen ist bereits die künftige Endstation angegeben, während der Lonely Planet noch etwa vier Haltestellen hinterherhinkt. Von dort gönne ich mir ein Taxi hoch zum Saad-Abad-Palastmuseum; bevor ich Fofftein mache, mache ich Historie, ich bin nämlich wirklich kein solch schlimmer Banause, wie es bisweilen den Anschein haben mag.
Saad Abad ist ein Museumskomplex innerhalb eines weitläufigen Parks, die ganze Anlage war einst dem Schah sein klein’ Häuschen. Zwei seiner Residenzen sind mit Originalmobiliar zu besichtigen, der Weiße und der Grüne Palast, und erwartungsgemäß hat sich der Schah, soviel sei gesagt, nicht bei Ikea eingerichtet. Stattdessen zeigt er einen Hang zum dinner-for-one-mäßigen ausgestopften Bodentiger und generell zum Lüster. Das Schlafzimmerdeckenmosaik aus einer Phantastillion Minispiegeln allerdings würde mich beim Aufwachen umgehend in den galoppierenden Irrsinn treiben.
Vor dem Weißen Palast stehen noch seine übergroßen Schenkel. Den Rest der Statue hat man nach der Revolution niedergerissen, die Schenkel sind als beliebtes Familienfotomotiv stehengeblieben.
Im Weißen Palast spricht mich Ardalan an, wiederum ein Student, wiederum Elektronikingenieur, seinem Examen fehlten nur zwei Punkte zur vollen Punktzahl, die bei Sechshundertirgendwas liegt. Auch er wollte nach Schweden, um weiter zu studieren, aber weil er seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet hat, wird das vorerst nichts werden. Kaum überraschend, verplaudern wir uns ausführlich, und stehen dabei allen Museumsbesuchern unglaublich im Weg herum. Kaum überraschend, gibt auch er mir seine Telefonnummer und Mailadresse, wenn ich Hilfe bräuchte in Teheran, möge ich ihn bitte anrufen. In soviel Bredouille kann kein Mensch geraten, wie ich inzwischen Telefonnummern und Mailadressen habe. Meistens machen wir Fotos, so daß ich als kleinen Dank wenigstens Bilder zumailen kann.
Der Park erstreckt sich bergauf, Wege schlängeln sich hindurch, überall im Schatten, auf Bänken oder im Gras, sitzen und liegen Pärchen, Familien, Cliquen beim Picknicken, Chillen, Dösen. Oben vorm Grünen Palast finde ich ein kleines Café, das, praise the Lord, echten Kaffee serviert. Ich bestelle Espresso, was dauert, aber welchen Preis wäre ich nicht zu zahlen bereit.
Ich habe kaum genippt, da werde ich schon vom Nebentisch gefragt, ob ich mich nicht dazusetzen möchte. Ein junger Typ sitzt dort mit seiner alten Mutter bei großen Fruchtshakes. Er ist Student, der gerade auf sein Visum für’s Auslandsstudium hofft. Ich dachte mir schon sowas. Sein Englisch ist nicht so perfekt wie das von Ardalan, aber beileibe kein Kommunikationshindernis. Die Mutter spricht nur Farsi, ist aber entzückend und strahlt mich an. Sohn übersetzt, Mutter hat viele neugierige Fragen. Über mich, meinen Beruf, meine familiären Umstände, ob ich Christ sei. Was ich mal bejahe, ich denke, Atheismusdebatten wären jetzt vielleicht überzogen. Sie will meine Meinung zum Hijab wissen und zupft an ihrer recht strengen Verschleierung. Wie immer, wenn ich nach meiner Meinung gefragt werde – so oft kommt das übrigens nicht vor –, antworte ich wahrheitsgemäß, daß ich nicht reise, um meine Meinungen in die Welt zu tragen, sondern um mir ein paar neue und womöglich bessere zuzulegen.
Was ich übrigens fast immer gefragt werde ist, welches Bild die Europäer von den Iranern haben. Ob man glaube, die Iraner seien alle Terroristen? Barbaren? Fanatiker? Diese Sorge scheint die Teheraner schwer umzutreiben, ich nehme an, ein Teil der überwältigenden Freundlichkeit und frappierenden Offenheit, die mir entgegengebracht wird, entstammt dem verzweifelten Bedürfnis, dieses Bild zu korrigieren. Es funktioniert. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie alle diese kultivierten, modernen Städter ein mittelalterliches Fanatismus-Image verabscheuen müssen; ich hatte damals schon die ganzen Naziassoziationen satt, die vor zwanzig Jahren weltweit noch ziemlich virulent waren.
Mehr als einmal werde ich übrigens auch zu hören bekommen, man wünsche, ich hätte das Land unter dem Schah sehen können, da wären die Zeiten immer noch sehr viel besser gewesen als jetzt; nicht unschockierend, mein Schahbild ist alles andere als rosig, der Savak gehört zu all den Dingen, denen ich lieber nicht begegnen wollen würde.
Mehr als einmal werde ich gefragt, ob die Menschen in Deutschland glücklich seien. Wie beantwortet man diese Frage. Ich sage, ich glaubte nicht, daß die Menschen in Deutschland wissen, wie glücklich sie sind. Wissen wir nicht. Sonst verstünde man in diesem unserem Land ja das eigene Wort nicht mehr wegen des ununterbrochenen tosenden Jubelgeschreis.
Ich muß mich irgendwann losreißen, ich will schließlich noch Fofftein machen. Zu diesem Zweck verlasse ich Saad Abad am nördlichen Ende und gehe von dort eine steile Straße hoch, dies ist Darband, eines der Lieblingsausflugsziele Teherans. Die Berge im Norden locken mit guter Luft, schöner Natur, Skipisten bis in den Sommer hinein und jeder Menge Halligalli.
Darband ist unglaublich. Am Ende der Straße, bei der Sessellift-Talstation, beginnt sich ein kleiner, steiler Weg den Berg hochzuschlängeln, gesäumt von Büdchen, Lädchen, Cafés, Teestuben, Restaurants. Weil für all das eigentlich kein Platz ist, wuchern diese Orte am Berg und in den Berg hinein, wie Schwalbennester oder Baumpilze an einem Stamm. Ein Restaurant hat seinen Gästen gar ein Lager mitten ins Flüßchen gestellt. Alles ist ziemlich bunt, sowohl die Lokale als auch die Speisen (siehe auch: Exkurs Essen I: Lavashak). Gibt’s irgendwo noch ein freies Plätzchen, haben sich dort bereits Picknicker niedergelassen. Großfamilien grillen, Liebespaare flirten, halbstarke Jungs spielen sich auf. Apropos Aufspielen: Nirgendwo wird keine Musik gespielt. Ein Greis kommt mir entgegen, der einen CD-Player wie eine Schultertasche trägt. Auf dem Pfad drängen sich Trekker mit Outdoorequipment an Tschadormüttern mit Picknickkorb vorbei. Und trotz des ganzen Trubels schafft es die Atmosphäre, unheimlich relaxt zu bleiben.
Mit mir und Bergen ist es nun so, daß ich, wenn ich einmal damit angefangen habe, nicht wieder aufhören kann; ist wie mit Chips. Eigentlich will ich mich hier gar nicht so lange rumtreiben, denn ich hoffe, heute abend endlich Alireza zu erreichen, den Cousin meines Hamburger Lieblingspersers, den dieser mir zu leihen versprach. Gestern schickte ich Alireza eine SMS, erhielt aber keine Antwort, was an meiner derzeit erratischen Telefonfunktion liegen mag; nun beginnen via Hamburg eher kryptische Nachrichten einzutrudeln. Alireza würde nach unserer Tour im Hotel auf mich warten. Aha. Was für eine Tour, was für ein Wir, ist von mir im Uebel Majestatis die Rede, man weiß es nicht. Ich sollte das eruieren, andererseits, wie gesagt, ich und die Berge.
Der Pfad wird felsiger und steiniger, die Erlebnisgastronomie bleibt erschöpft zurück, auch ich habe zu kämpfen und schütte Wasser in mich hinein, es ist nämlich nach wie vor mordsmäßig heiß. Ich trage das Büßerhemd, alles andere führte zum sofortigen Kollaps. Ich trage allerdings mit meinen Schwachmatensandalen das völlig falsche Schuhwerk, inzwischen ist das hier zum Fall für echte Bergschuhe geworden.
Die Clique, die mich anspricht, trägt Bergschuhe und Profirucksäcke, drei Jungs, ein Mädchen, wir steigen zusammen weiter und keuchen dabei mühevoll ein Gespräch zurecht. Schließlich haben wir die letzte Hütte – hier oben sind es Steinhäuschen, die nichts mehr mit Ausflüglerei zu tun haben – hinter uns gelassen, und jetzt erst sieht man, daß dies kein Spaßhügel ist sondern ein wildes, wunderschönes Hochgebirge. Muß wohl, wenn ich das nächste Mal herkomme, noch eine Trekkingwoche dranhängen. Tief unten sieht man zwischen den Hängen ein Stück Teherans in der Abendsonne glühen.
Wir setzen die Rucksäcke ab, trinken Wasser, verschnaufen. Reden. Die Vier haben Zelte dabei und werden heute Nacht campen, zwei, drei Stunden weiter oben. Ich bin ein bißchen neidisch. Natürlich laden sie mich ein, mitzukommen, aber ich habe da ja noch die Alireza-Verabredung. Das nächste Mal, Inschallah.
Wir reden über Gott und die Welt und, wie immer, über Politik, während die immer rotere Sonne immer längere Schatten wirft und die Amüsierschlucht unter uns in Dämmerung versinkt. Zum Abschied tauschen wir Mailadressen und Telefonnummern, und falls ich in Teheran irgend etwas bräuchte, solle ich doch bitte anrufen. Ich bekomme noch eine Wasserflasche aufgenötigt, für den Rückweg, und wiederum fällt mir der Abschied schwer, ich hätte die Vier gerne kennengelernt, wir haben uns in dieser kurzen Stunde verdammt gut verstanden.
Die Wasserflasche kommt mir zupaß, hat sich doch der Pfad, der auf dem Hinweg noch vorgab, ein überdeutlich einziger zu sein, inzwischen hinter meinem Rücken in ein gehässiges Gewirr von vielen, vielen Pfaden verwandelt. Ich verirre mich prompt, scheitere grandios bei einem Abkürzungsversuch und muß eine am Bachbett picknickende, ärmliche Familie mit der internationalen Doofer-Tourist-hat-sich-verirrt-Pantomime nach dem Weg fragen.
Ich lande auf einem Weg am gegenüberliegenden Hang, habe aber ein gutes Gefühl. Die Gastrodichte ist hier deutlich geringer, dafür passiere ich ein paar Fachgeschäftchen für Trekking- und Bergsteigerausrüstung. Und ich habe meine erste und einzige unangenehme Begegnung in Teheran.
Er ist kein Iraner, soviel gleich vorweg, er ist Afghane, der in Pakistan lebt, oder umgekehrt, schwer zu verstehen, und auf Geschäftsreise in der Stadt. Sein voluminöser, wenngleich akkurat gestutzter Bart kam mir gleich irritierend fremdartig vor, sowas trägt hier sonst keiner. Ich schätze ihn auf Mitte Dreißig (den Mann, nicht den Bart). Woher ich käme, lautet wie stets die Standardfrage; „I love Germany“, heißt es als nächstes, auch dies noch nicht ungewöhnlich.
Weiter aber geht es mit „I love Hitler so much!“ Nicht, daß in den letzten Tagen noch nie von Hitler die Rede gewesen wäre, dies aber ausschließlich in Vergleichen, die für die hiesigen Staatsoberhäupter nicht uneingeschränkt schmeichelhaft ausfielen. Aha, sage ich, und daß diese Ansicht in Deutschland selbst nicht mehr so ganz mehrheitsfähig sei. Hitler, wird mir erläutert, wollte endlich den allumfassenden Weltfrieden verwirklichen, der nur an den Israelis scheitere. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich deute höflich an, daß mein polnischer Freund dazu eine dezidiert andere Ansicht hätte, aber er hört mich gar nicht, „I love Hitler so much!“ jubiliert er ebenso inbrünstig wie verzückt, „Oh, I love Hitler so much!“
Wir sind inzwischen an der Bergstation des Sesselliftes angelangt, er will mich zur Talfahrt einladen, aber jetzt im Sessellift neben jemandem zu sitzen, der die ganze Zeit aus voller Kehle „I love Hitler so much!“ jodelt, daß die Felsen zittern und Gletscher schmelzen, das ist selbst mir zu bizarr. Ich wende meine erprobte Technik des freundlichen Abschiedswortes in Kombination mit sofortigem Um-die-nächste-Ecke-Preschen an, ist man schnell genug, haben sie keine Chance, den Vorgang rechtzeitig zu begreifen.
Ich rauche eine Zigarette mit Teheranblick, warte, bis die letzten „I love Hitler so much!“-Jauchzer verklungen sind, und schwebe dann allein und in antifaschistischer Ruhe mit dem Sessellift zu Tal.
Unten habe ich hinreichend Mobilnetz, um Alireza anzurufen, und siehe: Wir verstehen uns überhaupt nicht. Hotel, Hotel, radebrecht er; Darband, Darband, sage ich, moduliert in jeder nur denkbaren Betonung und Aussprache. Alireza sagt, er rufe zurück und legt auf, kurz darauf ruft mich eine Frau an, die mir entgegenradebrecht, ich solle das Restaurant nicht verlassen, Alireza sei in einer halben Stunde da. Bloß: Ich sitze gar nicht im Restaurant. Immerhin hat man aufgehört, von mir im Plural zu reden. Ich bin in keinem Restaurant, sage ich, worauf die Frau auflegt. Schätze, ich suche mir besser ein Restaurant.
Ich finde eines, das von der Gestaltung her an einen nordkoreanischen Atombunker gemahnt, draußen aber steht auf Englisch Restaurant & Coffeeshop Diplomat, was mir einerseits Kaffee verheißt und mich andererseits darauf hoffen läßt, man spräche dort genug Englisch für einen Telefondolmetscherjob zwischen mir und Alireza. Außerdem kann man das Ding schwerlich übersehen.
Weit gefehlt. Dauernd sprechen alle Leute Englisch, es sei denn, man braucht das mal. Hier gestaltet sich selbst das Bestellen eines Espressos unmöglich. Das Farsi-Wort für Espresso ist übrigens: Espresso. Der Kellner hält mir mit zunehmender Dringlichkeit die Farsi-Speisekarte unter die Nase und kann nicht verstehen, daß ich nichts verstehe. Trotz internationaler Doofer-Tourist-versteht-nicht-Pantomime. Erstaunlich.
Rufe Hamburger Lieblingsperser an und erläutere meinen Standort, damit der’s seinem Cousin erklärt, trinke Wasser, schaffe es im dritten Anlauf doch noch, einen Espresso zu bestellen, worauf man fast umgehend damit beginnt, die Kaffeebohnen auszusäen. Ich warte fast eine Stunde auf den Espresso und auf Alireza noch länger, bisweilen versuche ich via Hamburg-Relay mit ihm zu kommunizieren, ist aber schwierig.
Die anderen Tische auf der Terrasse haben sich derweil mit jungen Menschen gefüllt, die Boys tragen ihre Polohemden zwei Nummern zu klein und mit hochgeklapptem Kragen, die Girls tragen Highheels und Seitenscheitel mit langer Haarsträhne über einem Auge, das Kopftuch hinten auf die Turmfrisur geklemmt; und zwar alle, ausnahmslos, selten einen strengeren Dresscode gesehen.
Als mir bereits selbst ein Seitenscheitel zu wachsen droht, kommt er doch noch: Alireza! Wir begrüßen uns schüchtern, beide Seiten fremdeln noch stark.
Weil Alireza eigentlich gar kein Englisch spricht, hat er vorsichtshalber seinen Kumpel Peyman mitgebracht, der noch weniger gar kein Englisch spricht (doch, das geht!). Alireza, ein bezaubernder Jungspund, macht große Augen, greift stumm in eine Plastiktüte und legt ein Buch auf den Tisch: „English for the Iranian Passenger“. Das kann heiter werden.
Es wird heiter. Wir steigen in Alirezas Auto und haben dann alle drei keine Ahnung, was wir voneinander wollen. Alireza blättert hektisch im „English for the Iranian Passenger“, findet nichts Brauchbares, Peyman nimmt ihm das Ding aus der Hand, blättert noch hektischer, sagt dann triumphierend „Fahrenheit!“. Ich nehme an, er will über’s Wetter reden.
Muß ich wohl die Sache in die Hand nehmen, bzw. das Buch. Aus reiner Notwehr lerne ich meinen ersten ganzen Satz auf Farsi, entnommen dem „English for the Iranian Passenger“, einer dieser Sätze, ohne die Auslandsreisen nicht denkbar sind: „Do you do invisible mending?“ Wenig Gelegenheiten sind vorstellbar, zu denen diese Frage unangebracht wäre. Vor lauter Übermut erwäge ich, gleich auch noch „Can you get me a salmon“ zu lernen, spare mir das aber vielleicht doch bis morgen auf.
Weil wir uns nicht verstehen, verlegen wir uns auf’s Lachen, und siehe, das klappt erstaunlich gut, es dauert keine zehn Minuten und wir haben irre viel Spaß. Wir cruisen durch Teheran, hören laut Musik, versuchen vergeblich, unseren Dolmetscher in Hamburg zu erreichen, Alireza raucht, liest die ersten Kapitel des „English for the Iranian Passenger“ und steuert gleichzeitig den Wagen durch den wahnwitzigen Teheraner Verkehr. Der Iraner ist eine Nachteule, die Straßen sind noch voller als tagsüber. Wir erkundigen uns gegenseitig nach unsichtbarer Näherei und Lachsen, immer, wenn Alireza mir komplexere Zusammenhänge auf Farsi erklärt, antworte ich detailliert auf Deutsch; ich würde sagen, läuft gut!
Schließlich Telefonverbindung nach Hamburg, ist eigentlich fast schade, haben wir’s doch gerade so lustig. Jetzt raucht, liest, fährt und telefoniert Alireza gleichzeitig. Mit Hin- und Herreichen des Handys schaffen wir, ein paar Parameter zu klären, u. a., daß wir jetzt nach Farahzad fahren, was immer das ist.
Es ist eine Amüsierstraße, vom Prinzip her Darband nicht unähnlich, nur kleiner und eben. Restaurants und Näschereienbuden, die Straße mit Fähnchen und Wimpeln geschmückt, des Feiertages wegen, zu diesem Anlaß laufen auch Kinder mit Gebäck und Fruchtsäften umher, die man einander zum heutigen Fest schenkt. Alireza und Peyman zeigen mir die Sehenswürdigkeiten am Wegesrand, zu denen u. a. knallbunt gefärbte Küken gehören, was ich erstaunlich finde, was wiederum Peyman überhaupt nicht versteht, er nötigt mich, stattdessen steinöde weiße Tauben beim selben Geflügelhändler zu fotografieren. Nehme an, man färbt hier halt seine Küken.
Alireza erschnorrt mir Kostproben von allem mir fremden Naschwerk, und langsam beginnt sogar sowas wie verbale Kommunikation zwischen uns zu funktionieren, was natürlich das Terrain für Scherze beträchtlich ausweitet. Wir promenieren die Straße ausgiebig hin und zurück, dann fahren wir weiter, nicht etwa nach Hause, es ist ja erst Mitternacht, Zeit, ein bißchen Spaß zu haben. Da, wo alle jetzt hingehen, im Mellatpark.
Auha. Als ich sagte, Darband sei unglaublich, da kannte ich natürlich den Mellatpark noch nicht. Alle 15 Millionen Teheraner sind heute Nacht hier, inklusive aller Klein- und Kleinstkinder. Und alle haben sie allen möglichen Spaß. Wir streunen über’s Gelände, es muß riesig sein, klar, sonst stünden sich die 15 Millionen ja auf den Füßen. Tun sie nicht. Sie spielen, zum Beispiel, Federball, in großer Zahl, auf den breiten asphaltierten Wegen, wo die Beleuchtung stimmt. Andere munkeln im Dunkeln. Es gibt einen Public-Viewing-Fernseher und einen See mit Springbrunnen und Wasserlichtspielen, letztere allerdings nur bis neun. Wir ärgern im kleinen Zoo große Vögel und gehen im Kino, einem futuristischen Brückengebilde, mal auf’s Klo. Kinder tollen über die Spielplätze, Ehepaare flanieren, wir drei kaspern. Meine beiden Heiopeis sind hinreißend, sie begöschern mich nach Strich und Faden, und bisweilen raufen und knuffen sie sich vor lauter Übermut.
Der Mellatpark ist ein großes nächtliches Fest. Ich würde es kaum glauben, hätte ich mich nicht schon dran gewöhnt, daß Teheran mich alle fünf Minuten auf’s Neue überrascht. Habe noch nie Leute gesehen, die derart Spaß haben können wie die Teheraner. In einem sehr entspannten Gegenentwurf zu dem Gedränge der zwanghaften Konsumiermassen, die mich auf Hamburger Bespaßungsexerzitien wie Dom oder Hafengeburtstag ganz krank machen. Die öffentliche Aggression scheint man hier hauptsächlich im Straßenverkehr zu sublimieren. Kann auch sein, daß Nichtsaufen hilft.
Apropos Alkohol: Es ward mir in diesen vier Tagen durchaus mal angeboten, was trinken zu gehen. Ich lehnte ab, schweren Herzens – nicht, weil ich irgendeinen Wunsch danach verspürte, duhn durch Teheran zu torkeln, oder auch nur die leiseste Intention hätte, wesentliche Gesetze des Landes, in dem ich zu Gast bin, zu brechen. Ich wäre bloß natürlich irrsinnig neugierig darauf gewesen, wie das hier so funktioniert mit dem Alkohol. Immer wieder habe ich von den exzessiven Undergroundparties Teherans gehört, bei denen Alkoholkonsum noch zu den harmloseren Vergnügen zählt. Nach dem ich sehe, was schon Überground los ist, kann ich mir eine vage Vorstellung machen.
Irgendwann werde ich unwideruflich müde, hatte ja heute schon eine gehörige Portion Berg. Auch wenn die Nacht nach hiesiger Definition noch jung ist, wäre Schlaf eine hübsche Idee. Alireza und Peyman fahren mich ins Hotel, wir wünschen uns gegenseitig gute unsichtbare Näherei und sind morgen, soweit wir uns richtig verstehen, um elf verabredet. Vor dem Einschlafen esse ich noch eine Dose Thunfisch, die man mir im Zug ausgehändigt hatte; war soviel los heute, muß irgendwie das Essen vergessen haben, kann passieren, wenn einfach zuviel passiert.
Saad Abad ist ein Museumskomplex innerhalb eines weitläufigen Parks, die ganze Anlage war einst dem Schah sein klein’ Häuschen. Zwei seiner Residenzen sind mit Originalmobiliar zu besichtigen, der Weiße und der Grüne Palast, und erwartungsgemäß hat sich der Schah, soviel sei gesagt, nicht bei Ikea eingerichtet. Stattdessen zeigt er einen Hang zum dinner-for-one-mäßigen ausgestopften Bodentiger und generell zum Lüster. Das Schlafzimmerdeckenmosaik aus einer Phantastillion Minispiegeln allerdings würde mich beim Aufwachen umgehend in den galoppierenden Irrsinn treiben.
Vor dem Weißen Palast stehen noch seine übergroßen Schenkel. Den Rest der Statue hat man nach der Revolution niedergerissen, die Schenkel sind als beliebtes Familienfotomotiv stehengeblieben.
Schahbeine
Im Weißen Palast spricht mich Ardalan an, wiederum ein Student, wiederum Elektronikingenieur, seinem Examen fehlten nur zwei Punkte zur vollen Punktzahl, die bei Sechshundertirgendwas liegt. Auch er wollte nach Schweden, um weiter zu studieren, aber weil er seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet hat, wird das vorerst nichts werden. Kaum überraschend, verplaudern wir uns ausführlich, und stehen dabei allen Museumsbesuchern unglaublich im Weg herum. Kaum überraschend, gibt auch er mir seine Telefonnummer und Mailadresse, wenn ich Hilfe bräuchte in Teheran, möge ich ihn bitte anrufen. In soviel Bredouille kann kein Mensch geraten, wie ich inzwischen Telefonnummern und Mailadressen habe. Meistens machen wir Fotos, so daß ich als kleinen Dank wenigstens Bilder zumailen kann.
Der Park erstreckt sich bergauf, Wege schlängeln sich hindurch, überall im Schatten, auf Bänken oder im Gras, sitzen und liegen Pärchen, Familien, Cliquen beim Picknicken, Chillen, Dösen. Oben vorm Grünen Palast finde ich ein kleines Café, das, praise the Lord, echten Kaffee serviert. Ich bestelle Espresso, was dauert, aber welchen Preis wäre ich nicht zu zahlen bereit.
Picknicker in Saad Abat
Ich habe kaum genippt, da werde ich schon vom Nebentisch gefragt, ob ich mich nicht dazusetzen möchte. Ein junger Typ sitzt dort mit seiner alten Mutter bei großen Fruchtshakes. Er ist Student, der gerade auf sein Visum für’s Auslandsstudium hofft. Ich dachte mir schon sowas. Sein Englisch ist nicht so perfekt wie das von Ardalan, aber beileibe kein Kommunikationshindernis. Die Mutter spricht nur Farsi, ist aber entzückend und strahlt mich an. Sohn übersetzt, Mutter hat viele neugierige Fragen. Über mich, meinen Beruf, meine familiären Umstände, ob ich Christ sei. Was ich mal bejahe, ich denke, Atheismusdebatten wären jetzt vielleicht überzogen. Sie will meine Meinung zum Hijab wissen und zupft an ihrer recht strengen Verschleierung. Wie immer, wenn ich nach meiner Meinung gefragt werde – so oft kommt das übrigens nicht vor –, antworte ich wahrheitsgemäß, daß ich nicht reise, um meine Meinungen in die Welt zu tragen, sondern um mir ein paar neue und womöglich bessere zuzulegen.
Was ich übrigens fast immer gefragt werde ist, welches Bild die Europäer von den Iranern haben. Ob man glaube, die Iraner seien alle Terroristen? Barbaren? Fanatiker? Diese Sorge scheint die Teheraner schwer umzutreiben, ich nehme an, ein Teil der überwältigenden Freundlichkeit und frappierenden Offenheit, die mir entgegengebracht wird, entstammt dem verzweifelten Bedürfnis, dieses Bild zu korrigieren. Es funktioniert. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie alle diese kultivierten, modernen Städter ein mittelalterliches Fanatismus-Image verabscheuen müssen; ich hatte damals schon die ganzen Naziassoziationen satt, die vor zwanzig Jahren weltweit noch ziemlich virulent waren.
Mehr als einmal werde ich übrigens auch zu hören bekommen, man wünsche, ich hätte das Land unter dem Schah sehen können, da wären die Zeiten immer noch sehr viel besser gewesen als jetzt; nicht unschockierend, mein Schahbild ist alles andere als rosig, der Savak gehört zu all den Dingen, denen ich lieber nicht begegnen wollen würde.
Mehr als einmal werde ich gefragt, ob die Menschen in Deutschland glücklich seien. Wie beantwortet man diese Frage. Ich sage, ich glaubte nicht, daß die Menschen in Deutschland wissen, wie glücklich sie sind. Wissen wir nicht. Sonst verstünde man in diesem unserem Land ja das eigene Wort nicht mehr wegen des ununterbrochenen tosenden Jubelgeschreis.
Ich muß mich irgendwann losreißen, ich will schließlich noch Fofftein machen. Zu diesem Zweck verlasse ich Saad Abad am nördlichen Ende und gehe von dort eine steile Straße hoch, dies ist Darband, eines der Lieblingsausflugsziele Teherans. Die Berge im Norden locken mit guter Luft, schöner Natur, Skipisten bis in den Sommer hinein und jeder Menge Halligalli.
Lungern in Darband
Darband ist unglaublich. Am Ende der Straße, bei der Sessellift-Talstation, beginnt sich ein kleiner, steiler Weg den Berg hochzuschlängeln, gesäumt von Büdchen, Lädchen, Cafés, Teestuben, Restaurants. Weil für all das eigentlich kein Platz ist, wuchern diese Orte am Berg und in den Berg hinein, wie Schwalbennester oder Baumpilze an einem Stamm. Ein Restaurant hat seinen Gästen gar ein Lager mitten ins Flüßchen gestellt. Alles ist ziemlich bunt, sowohl die Lokale als auch die Speisen (siehe auch: Exkurs Essen I: Lavashak). Gibt’s irgendwo noch ein freies Plätzchen, haben sich dort bereits Picknicker niedergelassen. Großfamilien grillen, Liebespaare flirten, halbstarke Jungs spielen sich auf. Apropos Aufspielen: Nirgendwo wird keine Musik gespielt. Ein Greis kommt mir entgegen, der einen CD-Player wie eine Schultertasche trägt. Auf dem Pfad drängen sich Trekker mit Outdoorequipment an Tschadormüttern mit Picknickkorb vorbei. Und trotz des ganzen Trubels schafft es die Atmosphäre, unheimlich relaxt zu bleiben.
Mit mir und Bergen ist es nun so, daß ich, wenn ich einmal damit angefangen habe, nicht wieder aufhören kann; ist wie mit Chips. Eigentlich will ich mich hier gar nicht so lange rumtreiben, denn ich hoffe, heute abend endlich Alireza zu erreichen, den Cousin meines Hamburger Lieblingspersers, den dieser mir zu leihen versprach. Gestern schickte ich Alireza eine SMS, erhielt aber keine Antwort, was an meiner derzeit erratischen Telefonfunktion liegen mag; nun beginnen via Hamburg eher kryptische Nachrichten einzutrudeln. Alireza würde nach unserer Tour im Hotel auf mich warten. Aha. Was für eine Tour, was für ein Wir, ist von mir im Uebel Majestatis die Rede, man weiß es nicht. Ich sollte das eruieren, andererseits, wie gesagt, ich und die Berge.
Der Pfad wird felsiger und steiniger, die Erlebnisgastronomie bleibt erschöpft zurück, auch ich habe zu kämpfen und schütte Wasser in mich hinein, es ist nämlich nach wie vor mordsmäßig heiß. Ich trage das Büßerhemd, alles andere führte zum sofortigen Kollaps. Ich trage allerdings mit meinen Schwachmatensandalen das völlig falsche Schuhwerk, inzwischen ist das hier zum Fall für echte Bergschuhe geworden.
Die Clique, die mich anspricht, trägt Bergschuhe und Profirucksäcke, drei Jungs, ein Mädchen, wir steigen zusammen weiter und keuchen dabei mühevoll ein Gespräch zurecht. Schließlich haben wir die letzte Hütte – hier oben sind es Steinhäuschen, die nichts mehr mit Ausflüglerei zu tun haben – hinter uns gelassen, und jetzt erst sieht man, daß dies kein Spaßhügel ist sondern ein wildes, wunderschönes Hochgebirge. Muß wohl, wenn ich das nächste Mal herkomme, noch eine Trekkingwoche dranhängen. Tief unten sieht man zwischen den Hängen ein Stück Teherans in der Abendsonne glühen.
Wir setzen die Rucksäcke ab, trinken Wasser, verschnaufen. Reden. Die Vier haben Zelte dabei und werden heute Nacht campen, zwei, drei Stunden weiter oben. Ich bin ein bißchen neidisch. Natürlich laden sie mich ein, mitzukommen, aber ich habe da ja noch die Alireza-Verabredung. Das nächste Mal, Inschallah.
Wir reden über Gott und die Welt und, wie immer, über Politik, während die immer rotere Sonne immer längere Schatten wirft und die Amüsierschlucht unter uns in Dämmerung versinkt. Zum Abschied tauschen wir Mailadressen und Telefonnummern, und falls ich in Teheran irgend etwas bräuchte, solle ich doch bitte anrufen. Ich bekomme noch eine Wasserflasche aufgenötigt, für den Rückweg, und wiederum fällt mir der Abschied schwer, ich hätte die Vier gerne kennengelernt, wir haben uns in dieser kurzen Stunde verdammt gut verstanden.
Die Wasserflasche kommt mir zupaß, hat sich doch der Pfad, der auf dem Hinweg noch vorgab, ein überdeutlich einziger zu sein, inzwischen hinter meinem Rücken in ein gehässiges Gewirr von vielen, vielen Pfaden verwandelt. Ich verirre mich prompt, scheitere grandios bei einem Abkürzungsversuch und muß eine am Bachbett picknickende, ärmliche Familie mit der internationalen Doofer-Tourist-hat-sich-verirrt-Pantomime nach dem Weg fragen.
Ich lande auf einem Weg am gegenüberliegenden Hang, habe aber ein gutes Gefühl. Die Gastrodichte ist hier deutlich geringer, dafür passiere ich ein paar Fachgeschäftchen für Trekking- und Bergsteigerausrüstung. Und ich habe meine erste und einzige unangenehme Begegnung in Teheran.
Er ist kein Iraner, soviel gleich vorweg, er ist Afghane, der in Pakistan lebt, oder umgekehrt, schwer zu verstehen, und auf Geschäftsreise in der Stadt. Sein voluminöser, wenngleich akkurat gestutzter Bart kam mir gleich irritierend fremdartig vor, sowas trägt hier sonst keiner. Ich schätze ihn auf Mitte Dreißig (den Mann, nicht den Bart). Woher ich käme, lautet wie stets die Standardfrage; „I love Germany“, heißt es als nächstes, auch dies noch nicht ungewöhnlich.
Weiter aber geht es mit „I love Hitler so much!“ Nicht, daß in den letzten Tagen noch nie von Hitler die Rede gewesen wäre, dies aber ausschließlich in Vergleichen, die für die hiesigen Staatsoberhäupter nicht uneingeschränkt schmeichelhaft ausfielen. Aha, sage ich, und daß diese Ansicht in Deutschland selbst nicht mehr so ganz mehrheitsfähig sei. Hitler, wird mir erläutert, wollte endlich den allumfassenden Weltfrieden verwirklichen, der nur an den Israelis scheitere. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich deute höflich an, daß mein polnischer Freund dazu eine dezidiert andere Ansicht hätte, aber er hört mich gar nicht, „I love Hitler so much!“ jubiliert er ebenso inbrünstig wie verzückt, „Oh, I love Hitler so much!“
Teheran von fern & oben
Wir sind inzwischen an der Bergstation des Sesselliftes angelangt, er will mich zur Talfahrt einladen, aber jetzt im Sessellift neben jemandem zu sitzen, der die ganze Zeit aus voller Kehle „I love Hitler so much!“ jodelt, daß die Felsen zittern und Gletscher schmelzen, das ist selbst mir zu bizarr. Ich wende meine erprobte Technik des freundlichen Abschiedswortes in Kombination mit sofortigem Um-die-nächste-Ecke-Preschen an, ist man schnell genug, haben sie keine Chance, den Vorgang rechtzeitig zu begreifen.
Ich rauche eine Zigarette mit Teheranblick, warte, bis die letzten „I love Hitler so much!“-Jauchzer verklungen sind, und schwebe dann allein und in antifaschistischer Ruhe mit dem Sessellift zu Tal.
Unten habe ich hinreichend Mobilnetz, um Alireza anzurufen, und siehe: Wir verstehen uns überhaupt nicht. Hotel, Hotel, radebrecht er; Darband, Darband, sage ich, moduliert in jeder nur denkbaren Betonung und Aussprache. Alireza sagt, er rufe zurück und legt auf, kurz darauf ruft mich eine Frau an, die mir entgegenradebrecht, ich solle das Restaurant nicht verlassen, Alireza sei in einer halben Stunde da. Bloß: Ich sitze gar nicht im Restaurant. Immerhin hat man aufgehört, von mir im Plural zu reden. Ich bin in keinem Restaurant, sage ich, worauf die Frau auflegt. Schätze, ich suche mir besser ein Restaurant.
Ich finde eines, das von der Gestaltung her an einen nordkoreanischen Atombunker gemahnt, draußen aber steht auf Englisch Restaurant & Coffeeshop Diplomat, was mir einerseits Kaffee verheißt und mich andererseits darauf hoffen läßt, man spräche dort genug Englisch für einen Telefondolmetscherjob zwischen mir und Alireza. Außerdem kann man das Ding schwerlich übersehen.
Weit gefehlt. Dauernd sprechen alle Leute Englisch, es sei denn, man braucht das mal. Hier gestaltet sich selbst das Bestellen eines Espressos unmöglich. Das Farsi-Wort für Espresso ist übrigens: Espresso. Der Kellner hält mir mit zunehmender Dringlichkeit die Farsi-Speisekarte unter die Nase und kann nicht verstehen, daß ich nichts verstehe. Trotz internationaler Doofer-Tourist-versteht-nicht-Pantomime. Erstaunlich.
Rufe Hamburger Lieblingsperser an und erläutere meinen Standort, damit der’s seinem Cousin erklärt, trinke Wasser, schaffe es im dritten Anlauf doch noch, einen Espresso zu bestellen, worauf man fast umgehend damit beginnt, die Kaffeebohnen auszusäen. Ich warte fast eine Stunde auf den Espresso und auf Alireza noch länger, bisweilen versuche ich via Hamburg-Relay mit ihm zu kommunizieren, ist aber schwierig.
Die anderen Tische auf der Terrasse haben sich derweil mit jungen Menschen gefüllt, die Boys tragen ihre Polohemden zwei Nummern zu klein und mit hochgeklapptem Kragen, die Girls tragen Highheels und Seitenscheitel mit langer Haarsträhne über einem Auge, das Kopftuch hinten auf die Turmfrisur geklemmt; und zwar alle, ausnahmslos, selten einen strengeren Dresscode gesehen.
Als mir bereits selbst ein Seitenscheitel zu wachsen droht, kommt er doch noch: Alireza! Wir begrüßen uns schüchtern, beide Seiten fremdeln noch stark.
Weil Alireza eigentlich gar kein Englisch spricht, hat er vorsichtshalber seinen Kumpel Peyman mitgebracht, der noch weniger gar kein Englisch spricht (doch, das geht!). Alireza, ein bezaubernder Jungspund, macht große Augen, greift stumm in eine Plastiktüte und legt ein Buch auf den Tisch: „English for the Iranian Passenger“. Das kann heiter werden.
The Iranian Passengers: Peyman (l.) und Alireza
Es wird heiter. Wir steigen in Alirezas Auto und haben dann alle drei keine Ahnung, was wir voneinander wollen. Alireza blättert hektisch im „English for the Iranian Passenger“, findet nichts Brauchbares, Peyman nimmt ihm das Ding aus der Hand, blättert noch hektischer, sagt dann triumphierend „Fahrenheit!“. Ich nehme an, er will über’s Wetter reden.
Muß ich wohl die Sache in die Hand nehmen, bzw. das Buch. Aus reiner Notwehr lerne ich meinen ersten ganzen Satz auf Farsi, entnommen dem „English for the Iranian Passenger“, einer dieser Sätze, ohne die Auslandsreisen nicht denkbar sind: „Do you do invisible mending?“ Wenig Gelegenheiten sind vorstellbar, zu denen diese Frage unangebracht wäre. Vor lauter Übermut erwäge ich, gleich auch noch „Can you get me a salmon“ zu lernen, spare mir das aber vielleicht doch bis morgen auf.
Weil wir uns nicht verstehen, verlegen wir uns auf’s Lachen, und siehe, das klappt erstaunlich gut, es dauert keine zehn Minuten und wir haben irre viel Spaß. Wir cruisen durch Teheran, hören laut Musik, versuchen vergeblich, unseren Dolmetscher in Hamburg zu erreichen, Alireza raucht, liest die ersten Kapitel des „English for the Iranian Passenger“ und steuert gleichzeitig den Wagen durch den wahnwitzigen Teheraner Verkehr. Der Iraner ist eine Nachteule, die Straßen sind noch voller als tagsüber. Wir erkundigen uns gegenseitig nach unsichtbarer Näherei und Lachsen, immer, wenn Alireza mir komplexere Zusammenhänge auf Farsi erklärt, antworte ich detailliert auf Deutsch; ich würde sagen, läuft gut!
Schließlich Telefonverbindung nach Hamburg, ist eigentlich fast schade, haben wir’s doch gerade so lustig. Jetzt raucht, liest, fährt und telefoniert Alireza gleichzeitig. Mit Hin- und Herreichen des Handys schaffen wir, ein paar Parameter zu klären, u. a., daß wir jetzt nach Farahzad fahren, was immer das ist.
Es ist eine Amüsierstraße, vom Prinzip her Darband nicht unähnlich, nur kleiner und eben. Restaurants und Näschereienbuden, die Straße mit Fähnchen und Wimpeln geschmückt, des Feiertages wegen, zu diesem Anlaß laufen auch Kinder mit Gebäck und Fruchtsäften umher, die man einander zum heutigen Fest schenkt. Alireza und Peyman zeigen mir die Sehenswürdigkeiten am Wegesrand, zu denen u. a. knallbunt gefärbte Küken gehören, was ich erstaunlich finde, was wiederum Peyman überhaupt nicht versteht, er nötigt mich, stattdessen steinöde weiße Tauben beim selben Geflügelhändler zu fotografieren. Nehme an, man färbt hier halt seine Küken.
Exzentrisches Geflügel
Alireza erschnorrt mir Kostproben von allem mir fremden Naschwerk, und langsam beginnt sogar sowas wie verbale Kommunikation zwischen uns zu funktionieren, was natürlich das Terrain für Scherze beträchtlich ausweitet. Wir promenieren die Straße ausgiebig hin und zurück, dann fahren wir weiter, nicht etwa nach Hause, es ist ja erst Mitternacht, Zeit, ein bißchen Spaß zu haben. Da, wo alle jetzt hingehen, im Mellatpark.
Spazieren und amüsieren in Darband
Auha. Als ich sagte, Darband sei unglaublich, da kannte ich natürlich den Mellatpark noch nicht. Alle 15 Millionen Teheraner sind heute Nacht hier, inklusive aller Klein- und Kleinstkinder. Und alle haben sie allen möglichen Spaß. Wir streunen über’s Gelände, es muß riesig sein, klar, sonst stünden sich die 15 Millionen ja auf den Füßen. Tun sie nicht. Sie spielen, zum Beispiel, Federball, in großer Zahl, auf den breiten asphaltierten Wegen, wo die Beleuchtung stimmt. Andere munkeln im Dunkeln. Es gibt einen Public-Viewing-Fernseher und einen See mit Springbrunnen und Wasserlichtspielen, letztere allerdings nur bis neun. Wir ärgern im kleinen Zoo große Vögel und gehen im Kino, einem futuristischen Brückengebilde, mal auf’s Klo. Kinder tollen über die Spielplätze, Ehepaare flanieren, wir drei kaspern. Meine beiden Heiopeis sind hinreißend, sie begöschern mich nach Strich und Faden, und bisweilen raufen und knuffen sie sich vor lauter Übermut.
Der Mellatpark ist ein großes nächtliches Fest. Ich würde es kaum glauben, hätte ich mich nicht schon dran gewöhnt, daß Teheran mich alle fünf Minuten auf’s Neue überrascht. Habe noch nie Leute gesehen, die derart Spaß haben können wie die Teheraner. In einem sehr entspannten Gegenentwurf zu dem Gedränge der zwanghaften Konsumiermassen, die mich auf Hamburger Bespaßungsexerzitien wie Dom oder Hafengeburtstag ganz krank machen. Die öffentliche Aggression scheint man hier hauptsächlich im Straßenverkehr zu sublimieren. Kann auch sein, daß Nichtsaufen hilft.
Apropos Alkohol: Es ward mir in diesen vier Tagen durchaus mal angeboten, was trinken zu gehen. Ich lehnte ab, schweren Herzens – nicht, weil ich irgendeinen Wunsch danach verspürte, duhn durch Teheran zu torkeln, oder auch nur die leiseste Intention hätte, wesentliche Gesetze des Landes, in dem ich zu Gast bin, zu brechen. Ich wäre bloß natürlich irrsinnig neugierig darauf gewesen, wie das hier so funktioniert mit dem Alkohol. Immer wieder habe ich von den exzessiven Undergroundparties Teherans gehört, bei denen Alkoholkonsum noch zu den harmloseren Vergnügen zählt. Nach dem ich sehe, was schon Überground los ist, kann ich mir eine vage Vorstellung machen.
Irgendwann werde ich unwideruflich müde, hatte ja heute schon eine gehörige Portion Berg. Auch wenn die Nacht nach hiesiger Definition noch jung ist, wäre Schlaf eine hübsche Idee. Alireza und Peyman fahren mich ins Hotel, wir wünschen uns gegenseitig gute unsichtbare Näherei und sind morgen, soweit wir uns richtig verstehen, um elf verabredet. Vor dem Einschlafen esse ich noch eine Dose Thunfisch, die man mir im Zug ausgehändigt hatte; war soviel los heute, muß irgendwie das Essen vergessen haben, kann passieren, wenn einfach zuviel passiert.
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