Und in der Tat, als wir plangemäß um 14 Uhr an der Grenze sind (von 13 bis 14 Uhr macht die Grenze Mittagspause), beginnt schon diesseitig das Getriebe des Lebens sich knirschend wieder in Gang zu setzen. Bei irrwitzigen Temperaturen tausche ich auf dem Parkplatz meine Restmanat plus zwanzig Dollar in Sum, all dies Dank unseres Fahrers, der Tanya gottlob auf der Nase herumtanzt, Tanya nämlich hat keine Ahnung vom Tauschen oder vom Wechselkurs. Ich beschäftige sie mit der Neuausfüllung des 300-Dollar-Zollformularscherzes und tausche mir eineinhalb Kilo Sum ein. Wäre das doch bloß was wert, ich leistete mir einen Träger, die schweren Geldbatzen zu transportieren. Der höchste Schein ist 1.000 Sum. Das entspricht ca. 40 Cent. Ich würde schrecklich gern mal mit Sum einen Neuwagen der Mittelklasse kaufen gehen. Immerhin, Sum gehen knapp (wie auch iranische Rial/Tuman, deren Verhältnis nun wirklich komplizierter als das von Taylor/Burton ist) noch in den Rucksack – für kongolesische Franc braucht man Plastiktüten, mehrere, auch wenn man bloß zum Eismann will.
Tanya bringt mich bis zum ersten Soldaten. Ich habe mich verabschiedet, auch vom Fahrer, dessen mutmaßliche Jugend so bedauernswert von seiner Grobschlächtigkeit und Aknenarbigkeit geschluckt wird. Eine letzte Umarmung, dann gebe ich meinen Paß dem Grenzsoldaten und gehe voran.
Der Effekt ist, obwohl ich sowas erwartet habe, von geradezu lachhafter Intensität. Gott macht Schnipp, und schon ist das Leben wieder da. Die turkmenische Stasis vorbei, die Welt beginnt umgehend, mit mir auf Teufel komm raus zu interagieren, als hätte wer meine interstellaren Tiefschlafkammer (ihr
habt „Alien“ gesehen, ja?) abgeschaltet. Es ist wunderbar.
Die Grenze ist wunderbar. So schätze ich meine Grenzen. Eine irrwitzige Abfolge von Kontrollstationen, hier auf’s Allerschönste gar räumlich getrennt. Zwei Minibusse á 1.000 Sum muß ich nehmen, um die Niemandslande zwischen den Grenzgebäuden zu überwinden. In beiden unerhalte ich mich mit zauberhaften goldzähnigen Männern, denen ich von meiner Reise erzähle und die sich krumm machen, mich und meinen Scheißrucksack unterzubringen und mir überhaupt und generell irgendwie zu helfen und Freude zu bereiten.
Ich unterhalte mich. Auf Russisch. Das geht sofort, wenn man es muß. Und will. Und keiner da ist, der’s für einen tut. Es ist toll. Ich vergucke mich in jedes einzelne der landschaftsnah gegerbten Gesichter, in jedes goldene Lächeln. Mein Russisch ist häßlicher als die Maschhader Seele, aber jeder behandelt es, und mich, und das Leben, als wäre es schön. Und oh je, wie ist das Leben schön, seit es wieder passiert.
So viele Menschen schauen meinen Paß an, man könnte mit ihnen sterbende mecklenburgvorpommernsche Städte wiederbevölkern. Fast jeder, der das länger tut, wird mein Freund, denn ich habe als alleinreisende weibliche Nichtmotorisierte den Exotenbonus und koste ihn weidlich aus, weil ich auf Russisch erzählen kann, ich reise von Gamburg, Germania, nach Shanghai, Kitay. Uniformträger mit der zeitlosen Gemächlichkeit eines Buddhas drehen ihre Privatventilatoren in meine Richtung, auf daß mir weniger heiß sei, während sie in ihrer Computermaske die Währung „Euro“ nicht finden (die Formulare auf turkmenischer Seite sind unerklärlicherweise übrigens auf Russisch und
Französisch. Und nehmen mehr Zeit in Anspruch, als das Schreiben meiner kompletten Biografie es täte).
Ein hinreißendes Gebäude im Niemansland mit rechterseits vier legebatteriehaften Mikrobüros. Das erste Gesundheitskontrolle, das zweite Paßkontrolle, das dritte Veterinärkontrolle, das vierte Zollkontrolle. Ich schließe – auf Russisch! – Freundschaft mit einem türkischen LKW-Fahrer. Zum Veterinär muß ich nicht, aber die Gesundheitskontrolle ist das Allerallerwundersamste, was mir je an einer Grenze begegnete, und noch schöner als die turkmenische Post: Ein Mann drückt mir eine Mischung aus Fön, Radargeschwindigkeitsmeßgerät und Startrek-Phaser an die Stirn, mißt mein Warp-Feld und fragt, ob es mir gut ginge. Ich bejahe aus vollem Herzen, darf voranrücken und versinke in tiefes, seliges Entzücken.
Zu diesem Zeitpunkt betreten Cargohosen die Szenerie. Aus dem Fenster lugend, entdecke ich einen staubigen Kleinwagen mit enormem Dachgepäck sowie eine italienische Ambulanz. Ich bin a.) neugierig und weiß b.) sofort, daß das hier, auf die ein oder andere Weise, mein Ride nach Buchara wird (Taxis und Marshrutkas sollen zwar existieren, jedoch entweder teuer oder routenmäßig komplex sein, davon völlig ab aber will ich eigentlich nur interagieren, yupp!)
Ich interagiere. Ich spreche die versammelten Freaks an, sie sind Teilnehmer einer Freak-Ralley, der
Mongol Rally (hätte ich Internet, würde ich hier den Link angeben, so aber ergoogle man’s sich), bei der 400 Gestörte in Trashautos irgendeinen Weg in die Mongolei finden. Einige fahren über den nördlichen Polarkreis, andere durch Afrika. Viele durch Rußland, ich treffe naturgemäß die, deren Rote Linie sich an die meine schmiegt. Wir plaudern, während wir den Zaubergarten der Bürokratie mählich durchwandern, immer wieder schnuppern wir an seltenen, phantasievollen Blüten. Ich bin grad kurz vorm Veterinär, als mich eine energetische Frau, mit der ich bislang kein Wort wechselte, fragt, ob ich nach Buchara mitkommen wolle. Sie bräuchten hier wahrscheinlich länger als ich, seien aber nicht zu verfehlen, es sei die italienische Ambulanz. Ich bin begeistert und kann versprechen, ihnen im Gegenzug zwei mongolische Lieder beizubringen, jedenfalls die ersten Strophen.
Wir verlieren uns aus den Augen. Schon ich schwelge ausgiebig im Reigen der Formalitäten, in seiner vollendeten Sinnlosigkeit transzendental, mit Auto allerdings muß es die nicht-jugendfreie Version geben. Einer der Freaks erzählte mir irgendwo zwischen Gesundheit und Paß von den Unsummen Bestechungsgeldern, die sie überall ausgeben mußten. Ich habe bislang niemanden bestochen (klopf-auf-holz, das kann ich nämlich noch schlechter als handeln), und schwebe kraftwagenunbeschwert durch weitere, und weitere, und weitere Kontrollstationen. Überall ein Schwätzchen auf Russisch, mag es das erbärmlichste Russisch der Welt sein, es läßt sich damit kommunizieren, und zwar aber Hallo.
Der Übergang zwischen Turkmenistan und Usbekistan gestaltet sich so langatmig und auf Distanz ausgelegt, daß ich mir nicht ganz sicher bin, ob der Schwarze Strich dort stattfindet, wo ich ihn vermute. Egal. Irgendwo, auf definitiv usbekischer Seite, sind viele Bäume gepflanzt, in deren Schatten ich rauche, hier darf ich das. Hoffentlich. Doch, ich denke schon. Am Horizont sehe ich noch drei bis vier weitere Stationen, ich schlendere bis zur vorletzten, weit draußen, hier parken schon die Taxis und Marshrutkas. Kaum Schatten, ich setze mich unter einen höchst handgestrickten Carport und unterhalte mich mit den Taxifahrern. Ich kann das, unterhalten. Zunächst wollen sie mich alle nach Buchara fahren, ich erkläre, ich warte auf neue Freunde mit Auto, dann unterhalten wir uns streßfrei. Man muß das Leben bloß mal ’ne Woche anhalten, um es wieder zu schätzen.
Ich warte ein Stündchen, bis der staubige Kleinwagen kommt. Man hat ihn überall signiert, Problem war: Im Iran hat man ihn irgendwann überall mit politischen Botschaften signiert, was die drei Jungs hätte in Teufels Küche bringen können, sie haben das Gröbste dann mit Aufklebern zu kaschieren versucht. Auf der hinteren Stoßstange steht immer noch groß:
Don’t shoot. Ich finde das trotzdem lustig.
Die Ambulanz käme in fünf bis zehn Minuten, heißt es, und so warte ich eine weitere Stunde. Obwohl die Sonne tief steht, brennt sie wie Harry. Und meine Präferenzen mögen absonderlich sein, aber dies ist durchaus, was mich glücklich macht: Am Kantstein sitzen, kochendheißgewordenes Wasser trinken und matschige Pflaumen essen, diese wie meine Zigaretten mit heiratswilligen und/oder neugierigen Taxifahrern teilen, Minimalgespräche zusammenzimmern und damit nach zehn Minuten raus sein aus der Taxibusinessnummer, dann nur noch miteinander rauchen, während die Sonne alles golden flutet und der Wind Wüstensandwirbel in unsere Gesichter treibt. Mir ist zu heiß, ich bin zu durstig, alles ist zu unbequem und ich bin happy. Wie ich hier sitze, kurz vor der letzten Kontrolle, die mich nach Usbekistan bringen wird. Seht mich auf Google Earth, zoomt immer näher ran von der Gesamtansicht unseres runden Planeten, da, das Kreatürchen auf dem Kantstein zwischen Turkmenistan und Usbekistan, das bin ich, trotz starker Verstaubung und detailschwacher Auflösung sollte man erkennen, wie gut es mir geht. Einen Moment wie diesen will ich mir in Gießharz gießen. Als Briefbeschwerer, für die lausigen Tage.
Ich habe Zeit, nachzudenken. Über Kontrolle. Aus gegebenem Anlaß. Usbekistan vor mir, Turkmenistan im Rücken, Iran gleich dahinter. Wir wissen nicht recht, wovon die Rede ist, nur deswegen gehen wir so sorglos damit um. Sicher ist eine Gesellschaft ohne Kontrolle nicht denkbar. Und dennoch wohnt Kontrolle eine tiefe Grauenhaftigkeit inne. Seien wir wachsam wie achtzig Millionen Luchse, seien wir widerborstig bei jedem Gran Freiheit, das wir gegen vermeintliche Sicherheit uns zu tauschen bereit erklären könnten. Hütten wir uns vor der Adaption der amerikanischen Allroundangst, die auf eine Gesetzgebung gegen Leid, Schmerz, Tod zielt. Ich bin vehementer Gegner von Leid, Schmerz, Tod, aber Leben ist nunmal riskant – Nullrisiko ist erst sechs Fuß unter der Erde zu haben. Ich nehme an, Freiheit ist wie Licht, erst in ihrer Abwesenheit bemerkt man sie. Wir können hundert persönliche, individuelle Strategien gegen das Risiko entwickeln – oder uns die Freiheit nehmen, es zu lassen. Gegen erstmal etablierte Kontrollmechanismen ist wenig Kraut gewachsen. „Guardianship“ dräut noch viel grusliger als „Martyrdom“. Laßt uns das bitte nicht mal im Ansatz wollen, bitte. Keinen Überwachungs- und auch keinen keinen Nanny-Staat. Wer bislang aus irgendeinem schwerverständlichen Grunde nicht dazu kam, hurte in den nächsten Buchladen (die Hamburger selbstverständlich zu Cohen + Dobernigg) und lese Juli Zehs
Corpus Delicti,
Angriff auf die Freiheit von Zeh/Trojanow, sowie
Rettet die Grundrechte von Gerhart Baum. Bitte. Danke.
Und bei jedem Gran Freiheit, das wir gegen zwielichtige Sicherheitsversprechen zu tauschen bereit sein mögen, halte man inne und denke daran, wie übervoll die Welt ist mit Menschen, die sich von uns bloß durch die GPS-Koordinaten ihres Geburtsortes unterscheiden, und die man nur mal fragen muß, damit sie einem Freiheit erklären.
Schließlich kommt die Ambulanz. Der schweigsame und nicht englischfähige Lucho am Steuer, die überlebendige Yota – Griechin, aber in Rom zu Hause – als Copilotin. Auf dem Amaturenbrett eine Schneekugel mit dem Colloseum, am Rückspiegel Weiße Magie: Ein Antiböserblickauge aus der Türkei, wie ich eines von Tango-Serdar bekam, ein italienisches Dingens, den Knoblauch, sagt Yota („Yota, wie Toyota ohne To“), hätten sie nach Rumänien abgenommen.
Wir haben Spaß. Ich sitze hinten, die Liege und vieles des Originalambulanzinterieurs ist noch vorhanden, ganz prima. Darauf und darüber türmt sich Traveller-Zeugs. Die beiden teilen zudem mein Faible für die Rote Line, an die Seitenscheibe ist eine Eurasienkarte geklebt, auf der sie mit Edding ihre Strecke markieren. Durch’s Fenster nach vorn unterhalten wir uns, ich bekomme die
Mongol Rally-Geschichte erzählt, wobei sich Yota in den persönlichen Fährnissen ihres Teams im Vorfeld verfranst. Ich erzähle ihr die Geschichte der turkmenischen Post, und sie ist unheimlich neidisch. Wir tauschen Iranerlebnisse, sie sagt, mit ihr habe kein Mensch ein Wort gesprochen oder sie angesehen, jeder habe sich ausschließlich an Lucho gewendet. Muß ergiebig gewesen sein angesichts der Tatsache, daß der kein Englisch spricht. Ich berichte ihr von Fear and Loathing in Maschhad. Was immer ich sage, übersetzt sie für Lucho, und weil die Straße holpert, schneit es im römischen Collosseum ununterbrochen.
Abends sind wir in Buchara. Eine kleine Ralleyfreakzusammenkunft auf dem Parkplatz inmitten geballter Geschichte, dann trennen wir uns, ich nehme ein Taxi mit einem Fahrer, der keine Ahnung hat, wo mein Hotel sein mag. Er fährt erstmal seinen Kumpel nach Hause, dann sucht er erfolgreich das Hotel, zwischendrin unterhalten wir uns, auf Russisch selbstverständlich. Ich kann sicher nicht mehr als 150 Wörter, und zimmere sie auf’s Garstigste aneinander, und trotzdem geht: Kommunikation. Kann hier hoffentlich wer ermessen, wie fabelhaft das ist? Ich komme aus dem Staunen nicht raus.
Dann bin ich im Hotel, dann kann ich gar kommunizieren:
Dreht mal bitteschön den Wasserdruck an, auf daß irgendwas aus den Hähnen ströme; dann kann ich gar kommunizieren:
Es sollten hier meine Zugtickets bis inklusive Kasachstan für mich abgegeben sein. Das kommuniziere ich schließlich doch zumindest soweit, daß man irgendwen in Taschkent anruft, der meinen Herbergsvätern erklärt, sie sollten mir einfach mal den für mich hinterlegten Umschlag geben. Ach, wie laufen die Dinge geschmeidig.
Tun sie nicht. Drei Zugtickets im Umschlag, zwei bis drei fehlen. Herrlich, ein Problem, ich denke morgen drüber nach.
Heute bin ich hungrig. Ich sollte, so tüfteln wir’s miteinander aus, nur die Gasse neben dem Hotel langgehen, dann fände ich schon zum Lyabi Hauz, dem Hauptplatz. Man schaltet extra für mich die Straßenlaterne an.
Ich gehe durch die Gassen der Altstadt, und obwohl ich eigentlich erfahrungsgesättigt bin für diesen Tag, mag genau dies die Bucharaerfahrung sein.
Diese Gassen. Lehmziegelbauten rechts und links, dazwischen unwegsames Terrain. Der smarte Tourist hat naturgemäß eine Stirnlampe und diese im Hotel gelassen. Um auch ja in jedes Loch zu fallen und über jedes Dings zu stolpern. Der smarte Tourist hat zudem im Hotel eine Stadtkarte erworben, deren Unbrauchbarkeit noch die Kinder vieler, vieler Generationen besingen werden. Ich habe mich sofort verirrt.
Es ist schön. Wahrlich. Ich würde genau dies an Touristen verkaufen, nein, würd’ ich nicht, ich hielte es geheim. Mit gleichermaßen Schiß wie Neugier irre ich durch leere Gäßchen, die vor tausend Jahren nicht anders ausgesehen haben. Als sei man irgendwo in ein falsches Jahrhundert abgebogen. Manchmal nehme ich Abzweigungen, wo Licht lockt, manchmal begegne ich Menschen, die auf kleinen Lichtungen im Altstadtdschungel miteinander den Abend verbringen.
Irgendwann höre ich Musik, der ich zu folgen versuche, sie ändert aber ihre Himmelsrichtung launenhaft. Dann bin ich trotz alledem am Lyabi Hauz, lasse mich in einem Restaurant am großen Brunnen nieder, werde von einem turkmenrussischen Ehepaar plus einem ebenso einsamen wie notgeilen wie betrunkenen wie ausschließlich russischsprechenden Kumpel schanghait. Vom Nebentisch driften zudem Franzosen ins Bild. Ich bin hungrig und esse inmitten des Tohuwabohus das schlechteste Hühnerschaschlik der Welt. Keine Ahnung, wie man an ein Huhn soviele garstige Knorpel rangezüchtet kriegt, und womit nur wurde diese glibbrige Fettschicht angefüttert? Parallel wehre ich Wladimir ab, den notgeilen Besuffski, der mich für seine letzte Chance auf Geschlechtsverkehr hält und nicht begreifen mag, wie abgefahren dieser Zug ist; in seiner begriffsstutzigen Hartnäckigkeit ähnelt er einem Teppichhändler. Die Ehepaarfrau spricht ein bißchen Englisch, der Ehemann hat nicht nur die Vorder-, sondern, soweit ich das sehe, alle Zähne vergoldet. Ich muß den Kellner physisch bezwingen, bevor ich meine Rechnung selbst bezahlen darf, denn natürlich will Wladimir das übernehmen, und ebenso natürlich will ich das ganz sicher nicht, und anscheinend hat hier ein sturzbetrunkener Mann immer noch mehr zu melden als eine ziemlich nüchterne Frau.
Ich rette mich zu den Franzosen und tändele zwischendrin mit den Ralleyfreaks, die mir sagen, sie träfen sich später in einer Dachbar, die irgendwas mit „Moon“ hieße. Ich lasse mir die ungefähre Himmelsrichtung erklären und schleppe zwei derangierte Franzosen mit, der Derangiertere hat auf der Brust seines Polohemdes
Tim & Struppi-Konterfeis eingestickt, wie könnte man ihn nicht lieben.
Auf der Dachterrasse, als wir sie endlich gefunden haben und uns unterwegs der Einladung in einen lärmenden, prostituiertenlastigen subterranen Nachtclub namens
Underground erwehrt, lungern an langer Tafel drei Dutzend Ralleyisten. Der mir zur Rechten ist erster Offizier an Bord eines Handelsschiffes und erzählt herrliches Seemannsgarn – dies aber würde jetzt den Rahmen weiter sprengen als die zentralasiatische Historie. Mein persönliches Highlight in Kürze: Der Schiffsarzt, der den amerikanischen
Immigration-Scheiß eines Tages satt hatte. Die Schiffe – in diesem Falle Tanker – werden vor der Küste von Antiterrorkommandos gestoppt, die an Bord kommen in Full Metall Jacket, MPs in den Händen und die Splitterschutzwesten mit Granaten behängt. Handgranaten. Das ganze Einsatzkommando. Bückt sich der Schiffsarzt, der die Schnauze voll hat, zu dieser Gelegenheit, hält die Fingerspitzen hoch und sagt: „Oh – did any of you guys lose a pin?“ Der Effekt erwartungsgemäß cinematografisch, der Scherzbold in Handschellen deportiert; ich würde aber sagen, hat gelohnt, ist ein Scherz mit mächtig Chuzpe.
Ach, es ist alles so schön und gut, mir bleibt nichts, als nach einem Bier heimzugehen – wie sollte sich dieser Tag noch toppen lassen. Bot er nicht alles, was wir wollen. Hat doch das Leben gleich am ersten Grenzzaun auf mich gewartet und mich an die Hand genommen. Es scheint, ich reise wieder.