Nach soviel Laissez-faire gestern handhabe ich mich heute streng. Ein paar Stunden schreiben, dann Fußmarsch zum Venezia, ich sage nur: Lecker WiFi! Auf meiner 40-Minuten-Meile gehe ich ein Stück des Wegs mit einer Fünfzehnjährigen, die ihr Schulenglisch an mir ausprobiert und Rastaextensions trägt. Außerdem trägt sie eine große Melone. Ihre Begleiterin ist älter und zerrt ein Kleinkind hinter sich her, für die Mutter zu jung, schätze ich, und tippe auf ältere Schwester. Ich werde zum Melonenessen eingeladen, sage aber mit Bedauern ab, ich muß halt ran ans WiFi, hilft ja nix.
Donnerstag, 12. August 2010
12. August. Samarkand – Taschkent; und über den Umgang mit Eingeborenen
Während ich bei Fruchteisbecher im Venezia mit dem Blog heute mal beängstigend problemlos klarkomme, bahnt sich ein Drama an: Plötzlich, mittendrin im ganzen Mach & Tu, gehen meine Mails nicht mehr raus. Der SMTP-Server akzeptiere mein Kennwort nicht. Die blöde Sau, ja und, ich meine, was kann ich denn dafür? Was für ein intoleranter Bastard, und muß ich das jetzt ausbaden oder was?
Ich kann’s erstmal nicht ausbaden. Ich muß zum Hotel zurück, sonst verpaße ich meinen Zug um 17 Uhr, und das wollen wir nicht. Ich hoffe vorerst, der Server hat bloß seine Tage und morgen sehe die Welt schon anders aus.
Schweren Herzens trennen sich hier meine Wege von einem weiteren guten Buch, der „Sandelholzstrafe“ von Mo Yan (ich lese mich China entgegen). Der Doulatabadi übrigens ward damals in letzter Minute doch noch gerettet, meine Mitreisende Katy erbarmte sich seiner, er hat, wie ich per Mail erfuhr, inzwischen in Istanbul bei einer Deutsch-Iranerin ein neues Zuhause gefunden. Bücher aussetzen ist noch grausamer als Kätzchen aussetzen. (Grele K. merkte hier richtig an, ich hätte es natürlich trotz hoher Erfolgsunwahrscheinlichkeit mit bookcrossing.com versuchen können; ich habe dummerweise überhaupt nicht dran gedacht).
Mein Zugabteil ist zwar äußerst kommunikativ, bloß leider nicht mir gegenüber – es wird Russisch in einem derartigen Tempo gesprochen, daß ich kaum mehr die Gesprächsinhalte zu erahnen vermag. Ich bekomme trotzdem von picknickender Mutter mit Teenagertochter einen Maiskolben ab. Man kann eh sein eigenes Wort nicht verstehen, es läuft auf zwei abteilintegrierten Flachbildschirmen eine russische Komödie, eine Mitreisende sieht ohne Kopfhörer einen anderen Film auf ihrem Netbook, und vom Gang her plärrt Musik. Musik kommt hier übrigens in den zwei immergleichen Varianten, es muß sich um zwei Radiosender mit einer Fünfsongplaylist handeln. Zum einen gibt es, tja, wie soll man es nennen, Techno für Arme? Und zwar für so Arme, die sich nicht mehr als drei Töne leisten können, und ich spreche hier von Tönen, nicht etwa von Akkorden. Das andere ist Usbekenpop und genauso schlimm. Beides ist laut, sehr laut.
Und das Abteil ist kalt. Im letzten Zug war gottlob die Klimaanlage kaputt, aber soviel Glück kann man nicht immer haben, mache mentale Notiz, selbst für kürzere Zugfahrten die Polarfleece-Unterwäsche einzupacken. Wärme mich in der Raucherecke auf, die am Ende der Waggons liegt, dort läßt sich’s auch aus dem Fenster schauen, unser Abteilfenster ist milchig, keine Ahnung, ob das Absicht ist. Ländliche Gegend, Ortschaften mit kleinen Bauernhäusern, mal aus Stein, mal aus Lehm, Hirten treiben Schaf- und Rinderherden durch Felder, darüber sinkt die Sonne. Nach dreieinhalb Stunden sind wir in Taschkent.
Ich lasse mich vom ersten Taxi-Mann abgreifen, frage nach dem Preis; Zehn, sagt er, also zehntausend Sum, etwas weniger als fünf Euro, könnte noch halbwegs im Rahmen liegen, schließlich ist Taschkent eine große Stadt.
Ich verabscheue die Attitüde vieler Rucksacktouristen, aus irgendeinem sportlichen Ehrgeiz keineswegs mehr als die Spottbeträge für Einheimische zahlen zu wollen. Ich sehe den leicht erhöhten „Touristenpreis“ als Solidaritätszuschlag. Herrgott, die Schwachmatensandalen an unseren Füßen haben in den meisten Ländern den Gegenwert von ein bis drei Monatseinkommen, mit dem Geld für unsere Flugtickets ließen sich drei Kinder zur Universität schicken und zusätzlich eine Rente sichern. Und wenn ich mal einen Euro mehr zahle oder zwei, so fuckin’ what. Wir reden hier von Summen, mit denen man in Hamburg nicht mal eine Packung Kekse kaufen könnte. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – keiner von uns hätte Lust, hier seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer oder Kunsthandwerker bestreiten zu müssen.
Einen oder zwei Euro zahle ich gerne mehr, zehn Euro nicht. Das ist dann nämlich kein Solizuschlag sondern Beschiß, und da ich meinerseits das Recht einfordere, als Mensch gesehen zu werden, nicht als Brieftasche, fordere ich somit auch das Recht darauf, nicht beschissen zu werden.
„Zehn Dollar“, sagt mein Taxifahrer, nachdem ich meinen Rucksack in den Kofferraum gelegt habe; ich breche in herzliches Gelächter aus und gehe durch die Rucksack-aus-dem-Kofferraum-Wiederrausnehm-Pantomime; er fällt ebenso herzlich ins Gelächter ein, wir bekumpeln uns und fahren los. Drei Minuten später versucht er’s ein weiteres Mal mit den zehn Dollar, ich finde das überflüssig.
Wir unterhalten uns – es rechtfertigt sich der Touristenaufschlag beim Taxifahren schon aus dem Grunde, weil jedesmal eine Privatstunde Russisch inklusive ist. Zunächst werden unweigerlich beiderseitig die Familienverhältnisse abgefragt: Verheiratet, Kinder, wieviele.
An diesem Punkt bereits halten es viele Rucksacktouristen für angebracht, Kinderschar plus Ehepartner herbeizulügen. Welch ein Quatsch. Ich möchte doch auch nicht von einem Usbeken auf Hamburgbesuch seine möglicherweise vier Kinder verschwiegen bekommen, weil er denkt, damit überfordere er meinen kulturellen Verständnishorizont. Ich oute mich stets als ledig und kinderlos, erkläre auf Nachfrage, daß ich viel – und lieber – reise und arbeite. Mag sein, daß ich so bisweilen einen kulturellen Verständnishorizont heraus¬fordere (de facto fast nie), aber wie sollte denn bitteschön je eine Begegnung auf Augenhöhe zustandekommen, wenn ich im Default-Setting mein Gegenüber als beschränkten Hinterwäldler betrachte? Ist mir schleierhaft. Ich zücke höchstens mal als Manöver des letzten Augenblicks einen imaginären Boyfriend in Hamburg aus der Tasche, um allzu aufdringlichen Interessebekundungen einen Riegel vorzuschieben.
Jetzt zum Beispiel. Doch selbst der Hamburger Boyfriend schreckt den Fahrer, Murat ist sein Name, nicht ab, ich könne mir doch zusätzlich einen usbekischen zulegen, sagt er, ich nehme an, er hat da schon wen im Sinn.
Der Typ ist ein Honk, und ich habe kein gar so gutes Gefühl. Er will sofort mit mir teuer Stadtrundfahrt machen, ich biege das Gespräch in die Richtung, er solle mir seine Telefonnummer geben, wenn ich die nächsten Tage ein Taxi bräuchte, nach Chimgan zum Beispiel, dem Bergsportgebiet, riefe ich ihn an. Ich spiele auf Strategie – wenn er sich für morgen ein gutes Geschäft von mir verspricht, schneidet er mir heute vielleicht nicht mehr die Kehle durch; er ist nämlich soeben in eine verlassene Straße durch einen Park eingebogen.
Wo das Hotel liegt. Keinerlei Doch-zehn-Dollar-Streß, worauf ich ebenjene zehn Dollar gewettet hätte, stattdessen schenkt er mir eine Melone. Ich bin beschämt. Too much suspicion is a sin, man muß sich täglich daran erinnern.
Die Hotelreservierung hat der sehr nette Mensch vom hiesigen Goethe-Institut für mich vorgenommen, was deutlich billiger ist, als wenn man’s aus dem Ausland bucht, es ist ein prima Hotel. Leider ist sehr netter Mensch gerade in Berlin, die Goethe-Institute haben Sommerferien, ein Jammer. Ich esse im Hotelrestaurant zu kreischendem Usbeken-Dreitontechno Nudeln und schmiede Pläne für den kommenden Tag. Mal sehen, wie weit ich komme mit meinem Wandervorhaben.
Ich kann’s erstmal nicht ausbaden. Ich muß zum Hotel zurück, sonst verpaße ich meinen Zug um 17 Uhr, und das wollen wir nicht. Ich hoffe vorerst, der Server hat bloß seine Tage und morgen sehe die Welt schon anders aus.
Schweren Herzens trennen sich hier meine Wege von einem weiteren guten Buch, der „Sandelholzstrafe“ von Mo Yan (ich lese mich China entgegen). Der Doulatabadi übrigens ward damals in letzter Minute doch noch gerettet, meine Mitreisende Katy erbarmte sich seiner, er hat, wie ich per Mail erfuhr, inzwischen in Istanbul bei einer Deutsch-Iranerin ein neues Zuhause gefunden. Bücher aussetzen ist noch grausamer als Kätzchen aussetzen. (Grele K. merkte hier richtig an, ich hätte es natürlich trotz hoher Erfolgsunwahrscheinlichkeit mit bookcrossing.com versuchen können; ich habe dummerweise überhaupt nicht dran gedacht).
Mein Zugabteil ist zwar äußerst kommunikativ, bloß leider nicht mir gegenüber – es wird Russisch in einem derartigen Tempo gesprochen, daß ich kaum mehr die Gesprächsinhalte zu erahnen vermag. Ich bekomme trotzdem von picknickender Mutter mit Teenagertochter einen Maiskolben ab. Man kann eh sein eigenes Wort nicht verstehen, es läuft auf zwei abteilintegrierten Flachbildschirmen eine russische Komödie, eine Mitreisende sieht ohne Kopfhörer einen anderen Film auf ihrem Netbook, und vom Gang her plärrt Musik. Musik kommt hier übrigens in den zwei immergleichen Varianten, es muß sich um zwei Radiosender mit einer Fünfsongplaylist handeln. Zum einen gibt es, tja, wie soll man es nennen, Techno für Arme? Und zwar für so Arme, die sich nicht mehr als drei Töne leisten können, und ich spreche hier von Tönen, nicht etwa von Akkorden. Das andere ist Usbekenpop und genauso schlimm. Beides ist laut, sehr laut.
Und das Abteil ist kalt. Im letzten Zug war gottlob die Klimaanlage kaputt, aber soviel Glück kann man nicht immer haben, mache mentale Notiz, selbst für kürzere Zugfahrten die Polarfleece-Unterwäsche einzupacken. Wärme mich in der Raucherecke auf, die am Ende der Waggons liegt, dort läßt sich’s auch aus dem Fenster schauen, unser Abteilfenster ist milchig, keine Ahnung, ob das Absicht ist. Ländliche Gegend, Ortschaften mit kleinen Bauernhäusern, mal aus Stein, mal aus Lehm, Hirten treiben Schaf- und Rinderherden durch Felder, darüber sinkt die Sonne. Nach dreieinhalb Stunden sind wir in Taschkent.
Ich lasse mich vom ersten Taxi-Mann abgreifen, frage nach dem Preis; Zehn, sagt er, also zehntausend Sum, etwas weniger als fünf Euro, könnte noch halbwegs im Rahmen liegen, schließlich ist Taschkent eine große Stadt.
Ich verabscheue die Attitüde vieler Rucksacktouristen, aus irgendeinem sportlichen Ehrgeiz keineswegs mehr als die Spottbeträge für Einheimische zahlen zu wollen. Ich sehe den leicht erhöhten „Touristenpreis“ als Solidaritätszuschlag. Herrgott, die Schwachmatensandalen an unseren Füßen haben in den meisten Ländern den Gegenwert von ein bis drei Monatseinkommen, mit dem Geld für unsere Flugtickets ließen sich drei Kinder zur Universität schicken und zusätzlich eine Rente sichern. Und wenn ich mal einen Euro mehr zahle oder zwei, so fuckin’ what. Wir reden hier von Summen, mit denen man in Hamburg nicht mal eine Packung Kekse kaufen könnte. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – keiner von uns hätte Lust, hier seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer oder Kunsthandwerker bestreiten zu müssen.
Einen oder zwei Euro zahle ich gerne mehr, zehn Euro nicht. Das ist dann nämlich kein Solizuschlag sondern Beschiß, und da ich meinerseits das Recht einfordere, als Mensch gesehen zu werden, nicht als Brieftasche, fordere ich somit auch das Recht darauf, nicht beschissen zu werden.
„Zehn Dollar“, sagt mein Taxifahrer, nachdem ich meinen Rucksack in den Kofferraum gelegt habe; ich breche in herzliches Gelächter aus und gehe durch die Rucksack-aus-dem-Kofferraum-Wiederrausnehm-Pantomime; er fällt ebenso herzlich ins Gelächter ein, wir bekumpeln uns und fahren los. Drei Minuten später versucht er’s ein weiteres Mal mit den zehn Dollar, ich finde das überflüssig.
Wir unterhalten uns – es rechtfertigt sich der Touristenaufschlag beim Taxifahren schon aus dem Grunde, weil jedesmal eine Privatstunde Russisch inklusive ist. Zunächst werden unweigerlich beiderseitig die Familienverhältnisse abgefragt: Verheiratet, Kinder, wieviele.
An diesem Punkt bereits halten es viele Rucksacktouristen für angebracht, Kinderschar plus Ehepartner herbeizulügen. Welch ein Quatsch. Ich möchte doch auch nicht von einem Usbeken auf Hamburgbesuch seine möglicherweise vier Kinder verschwiegen bekommen, weil er denkt, damit überfordere er meinen kulturellen Verständnishorizont. Ich oute mich stets als ledig und kinderlos, erkläre auf Nachfrage, daß ich viel – und lieber – reise und arbeite. Mag sein, daß ich so bisweilen einen kulturellen Verständnishorizont heraus¬fordere (de facto fast nie), aber wie sollte denn bitteschön je eine Begegnung auf Augenhöhe zustandekommen, wenn ich im Default-Setting mein Gegenüber als beschränkten Hinterwäldler betrachte? Ist mir schleierhaft. Ich zücke höchstens mal als Manöver des letzten Augenblicks einen imaginären Boyfriend in Hamburg aus der Tasche, um allzu aufdringlichen Interessebekundungen einen Riegel vorzuschieben.
Jetzt zum Beispiel. Doch selbst der Hamburger Boyfriend schreckt den Fahrer, Murat ist sein Name, nicht ab, ich könne mir doch zusätzlich einen usbekischen zulegen, sagt er, ich nehme an, er hat da schon wen im Sinn.
Der Typ ist ein Honk, und ich habe kein gar so gutes Gefühl. Er will sofort mit mir teuer Stadtrundfahrt machen, ich biege das Gespräch in die Richtung, er solle mir seine Telefonnummer geben, wenn ich die nächsten Tage ein Taxi bräuchte, nach Chimgan zum Beispiel, dem Bergsportgebiet, riefe ich ihn an. Ich spiele auf Strategie – wenn er sich für morgen ein gutes Geschäft von mir verspricht, schneidet er mir heute vielleicht nicht mehr die Kehle durch; er ist nämlich soeben in eine verlassene Straße durch einen Park eingebogen.
Wo das Hotel liegt. Keinerlei Doch-zehn-Dollar-Streß, worauf ich ebenjene zehn Dollar gewettet hätte, stattdessen schenkt er mir eine Melone. Ich bin beschämt. Too much suspicion is a sin, man muß sich täglich daran erinnern.
Die Hotelreservierung hat der sehr nette Mensch vom hiesigen Goethe-Institut für mich vorgenommen, was deutlich billiger ist, als wenn man’s aus dem Ausland bucht, es ist ein prima Hotel. Leider ist sehr netter Mensch gerade in Berlin, die Goethe-Institute haben Sommerferien, ein Jammer. Ich esse im Hotelrestaurant zu kreischendem Usbeken-Dreitontechno Nudeln und schmiede Pläne für den kommenden Tag. Mal sehen, wie weit ich komme mit meinem Wandervorhaben.
Möge dein Schutzengel dich keine Sekunde aus den Augen lassen...
Besos