Pfannkuchen, Dreitontechno und Kaffeezeremonie zum Frühstück, finde dann problemlos ein Taxi, das nicht ganz so problemlos das Franzosenhotel am anderen Ende der Stadt findet. Bin überaus pünktlich, stelle mich den Franzosen vor, die alle nett und jung sind und eine Kombireise gebucht haben, Kultur und Trekking fifty-fifty. Vom Prinzip nicht verkehrt, hätte ich über mehr Zeit verfügt, ich wäre zwischendrin irgendwo sicher auch eine Woche wandern gegangen. Ich bräuchte sowieso mehr Zeit, meine Aufenthalte in Ürümqi und Xian werden viel, viel zu kurz sein, es ließ sich nicht ändern. Verdammte Kompromißmacherei. Morgen bin ich auf den Tag genau einen Monat unterwegs. Es ist schon komisch mit der Zeit auf Reisen. Sie vergeht schneller. Sie vergeht langsamer. Sie vergeht ganz anders. Und das alles gleichzeitig. Mein Reisemensch Schneider sagte mal so schön: Auf Reisen ist das Leben unendlich. Auch mein zweitliebstes Reisezitat stammt von ihm: Wer im Harz nichts erlebt, wird auch aus dem Kongo nichts zu erzählen haben.
Samstag, 14. August 2010
14. August. Landpartie nach Chimgan
Kamariddin, der sich dankenswerterweise Kamaro nennen läßt, stelle ich mich ebenfalls vor, er behauptet, über meine Teilnahme informiert zu sein, fährt dann aber beinahe ohne mich ab, weil ich noch auf der Toilette bin, ich muß dem anfahrenden Bus hinterherlaufen. Er spräche kein Englisch, sagt er bescheiden, ein bißchen tut er’s aber durchaus. Beim Asia Travel-Büro holen wir noch Anatoly Wassiliwitsch ab – ehrfürchtig stellt Kamaro ihn vor, er sei eine usbekische Bergsteigerlegende, der auf dem Everest war und auf dem Pik Lenin und Pik Kommunismus sowieso. Anatoly Wassiliwitsch ist ein munterer Greis, dessen Everest-T-Shirt etwas unwürdig in der Trainingshose steckt, er spricht einige Brocken Deutsch, mit denen er mir allerlei erzählt. Dann fahren wir nach Nordosten zur Stadt hinaus.
Guter Nebeneffekt dieses Ausflugs: Eigentlich, so dachte ich, kann ich kein Französisch. Jetzt aber, im Vergleich mit der Russerei in den vergangenen Wochen, kommt’s mir plötzlich so vor, als könne ich’s doch. Meine Verständnisquote liegt plötzlich nicht mehr bei den fünf bis zehn Prozent, die ich im Russischen erreiche, sondern bei flotten 40 bis 60%. Nu guck. Und was mir nicht alles für Wortschatz einfällt, scheint, ich spreche Französisch, ohne daß mir das klar gewesen wäre.
Zweiter guter Nebeneffekt: An der ersten Polizeikontrolle fällt mir auf, daß mein Paß im Hotel liegt. In Buchara insistierte man darauf, man müsse meinen Paß bis zu meiner Abreise behalten, in Samarkand insistierte man darauf, man müsse meinen Paß bis zu meiner Abreise behalten, in Taschkent aber machte man für die allfällige polizeiliche Registrierung bloß eine Fotokopie und ich mir weiter keine Gedanken: Ich ließ ihn im Hotelsafe. Wenn überall die Pässe im Hotel bleiben, dann auch hier, dachte ich; nö, eigentlich dachte ich irgendwie gar nicht. Der Spannungsgehalt dieses Ausflugs steigt bei der ersten Polizeisperre dementsprechend sprunghaft an. Hatte ich wohl kurz vergessen, daß hier Too Much Suspicion nicht als Sünde, sondern als Primärtugend gilt. Nun trage ich natürlich eine Fotokopie des Passes sowie den Personalausweis (warum nicht, man hat schon meinen Internationalen Führerschein für einen Reisepaß gehalten) bei mir, und trotzdem ist es von sagenhafter Blödheit, seinen Paß nicht dabeizuhaben. Sowas tut man nicht. Nicht auf einem 80-Kilometer-Ausflug, und schon gar nicht in Usbekistan. Auha. Was die Wandertour an Spannung möglicherweise nicht bringt, wird durch den Paßmangel mehr als ausgeglichen.
Wir fahren drei Stunden hinaus nach Chimgan, zu Lonely Planets Zeiten hat’s noch eineinhalb gedauert, kann aber daran liegen, daß sich unser Bus selbst minimalste Steigungen nur im ersten Gang hochquälen kann. Das Terrain wird zunächst hügelig, dann tauchen hinter den Hügeln ernsthafte Berge auf. Es ist fabelhaft, mal raus zu sein aus der Stadt. Vor uns kreuzt eine Herde hübscher Stuten mit Fohlen die Straße.
Weiter oben passieren wir einen Gasthof namens „Edelweiss“. Er hat einen kleinen Pool, der von schrillgrünen Plastikpalmen gesäumt wird, leider habe ich die Kamera nicht schnell genug gezückt.
Um 12 Uhr sind wir in Chimgan, wo ein Stück abseits der Straße von einem Rudel Jungspunde bereits das Camp für die Franzosen errichtet wird. Die Jungs sind die Träger für die Trekkingtage morgen und übermorgen, neun an der Zahl, dazu kommen zwei bis drei Köchinnen und ein weiterer junger Bergführer namens Alexej, den mir Kamaro vorstellt, weil Alexej Englisch spricht.
Es geht aber noch lange nicht los. Erst wird Melone serviert und Fladenbrot. Die ersten Franzosen tänzeln nervös, außerdem herrscht ein bißchen Unmut darüber, daß man heute nur einen Tagesausflug macht, keinen Trek zum nächsten Ort, wie man sich’s wohl vorgestellt hat. Kamaro beschwichtigt, dafür würde morgen umso mehr getrekkt werden.
Kurz vor 13 Uhr setzt sich die Karawane endlich in Bewegung. Anatoly Wassiliwitsch voran, sechzehn Franzosen plus eine Deutsche im Gänsemarsch hinterher, Kamaro sammelt am Ende die Reste ein.
Wir laufen ein gutes halbes Stündchen das Tal hoch, krauchen dann ein gutes weiteres halbes Stündchen über steilere, steinige Wegstrecke, stehen dann unterhalb eines kleinen Wasserfalls („Cascadette“ nennt’s eine Französin), dann ist auch schon Schluß mit lustig. Nach nicht mal eineinhalb Stunden. Wir pausieren ausgiebig – wovon eigentlich. Zwanzig Minuten später kommt Alexej den Weg – ein richtiger Weg ist’s natürlich nicht – hoch, an seinem Rucksack klappern zwei Wasserkessel, es wird Tee gekocht, dazu gibts Butterbrot, was auf Russisch übrigens: Butterbrot heißt.
Das Pausieren zieht sich, währenddessen wandert die Sonne hinter die Felsen, die um uns emporragen, und im Schatten wird es kalt. Wir rücken der Sonne hinterher, ich setze mich schließlich ein paar Meter ab, wechsele auf den gegenüberliegenden Hang, wo’s noch Sonne hat und zudem einen schönen Blick ins Tal.
Nach einer Stunde bricht zumindest Alexej auf, mir wird bedeutet, ich solle mit ihm gehen, komme ich zu spät nach Chimgan zurück, erwische ich vielleicht kein Taxi mehr. Mir nur recht. Ich winke von meinem Hang ein Adieu nach Frankreich und folge Alexej. Und noch die nettesten Franzosen können nicht darüber hinwegtäuschen: Wandern mit achtzehn Mann hoch ist einfach nix.
Mit Alexej hingegen macht es Spaß, in der Abendsonne hinab ins Tal zu steigen. Er ist leidenschaftlicher Amateurfotograf, wir geraten ins Fachsimpeln, er begutachtet und testet meine Kamera, hält allerdings Canon für Nikon überlegen. Man begegnet jetzt übrigens schon der Generation, die Analogfotografie gar nicht mehr kennt. Ich versuche ihm zu erklären, was Dias waren.
Alexej ist 26. Hat einen Master-Abschluß als Elektronik-Ingenieur, hatten wir das nicht schon mal? Außerdem hat er erst Biathlon gemacht, dann Triathlon, jetzt ist er bei Pentathlon, wußte gar nicht, daß es das gibt. Reiten und Fechten gehören dazu. Außerdem ist er in den Alpinismus eingestiegen. Ich bin beeindruckt.
Und er singt das Lied der talentierten, ehrgeizigen Jugend, das ich allerortens höre, das Lied der Hoffnung aufs Ausland. Er sei gut und qualifiziert, sagt er, aber er bekäme in Usbekistan keinen angemessenen Job. Allenfalls Lehrer könnte er werden, aber das will er nicht, er sei Wissenschaftler und wolle als solcher arbeiten, und er brauche eine noch bessere Ausbildung. Über den DAAD bewirbt er sich um einen Studienplatz in Deutschland, aber das täten alle seine Freunde. Er würde auch nach Rußland gehen oder nach Japan oder in die USA, wenn man ihn nur irgendwo nehme. Er befragt mich nach Details zu den Arbeitsbestimmungen für ausländische Studenten, ich kann es ihm nicht sagen.
Wir überholen eine Hirtenfamilie mit Schafsherde, deren Zelte wir schon beim Aufstieg sahen, plaudern im Camp noch ein bißchen weiter, essen Äpfel, dann bringt Alexej mich zur Straße, wo ich ein Sammeltaxi nach Gaselkent besteige, der nächsten Kleinstadt, von dort sollen Marshrutkas fahren. Wir verabschieden uns, ich wünsche ihm Glück. Aus ganzem Herzen. Dieser mein Paß, womit eigentlich habe ausgerechnet ich den verdient.
Dieser mein Paß liegt bekanntlich im Hotel. Fällt mir, kaum sind wir unterwegs, wieder siedendheiß ein. Mal gucken, ob ich mir damit ein Problem fange, das problematischer ist, als ich es noch für wünschenswert erachte – Lonely Planet wartet durchaus mit Knaststories auf. Und mal gucken, wie das so klappt mit dem Nach-Taschkent-Zurückkommen. Ich sehe aus dem Fenster, das Taxi (Anmerkung: Es ist natürlich fast nie von „richtigen“ Taxis die Rede – „Taxi“ bedeutet: Typ mit Auto) braust nur so dahin, die Abendsonne zeichnet attraktive Schatten in die Berghänge. Fahre ich hier so durch Usbekistan, denke ich, und freue mich darüber. Und freue mich, das nicht mit sechzehn anderen Leuten plus einem Dutzend Aufpassern und Problemlösern tun zu müssen.
Das Taxi hält direkt an einem Taschkent-Marshrutka. Easy going. Ich steige um – Marshrutkas sind Klein- oder Transporterbusse, die definierte Strecken abfahren, Marschrouten halt, es kostet mich 2.000 Sum, mein Sammeltaxi verlangte 3.000 Sum, das ganze Vergnügen ist also für weniger als drei Euro zu haben.
Es ist ein Vergnügen. Zwei alte Männer setzen sich neben mich, wir unterhalten uns, es werden ein paar anzügliche Witze über mich gerissen und gefragt, ob die Männer hier nicht noch heißer seien als das Wetter, sie plustern sich dabei hitzig. Alles aber absolut im grünen Bereich. Wir fahren nicht, wie auf der Hinfahrt, über die Autobahn, sondern eine Art Landstraße, auf der Suche nach Passagieren, die vom Straßenrand winken. So kriege ich allerlei zu sehen. Zum Beispiel diverse Polizeisperren. Bei einer werden wir rausgewunken. Ich bemühe mich um die Unauffälligkeit einer Topfpflanze. Es werden aber bloß die Papiere des Fahrers kontrolliert, dann dürfen wir weiterfahren.
Dies heute mag nun nicht die Wanderung meiner feuchten Träume gewesen sein, die ganze Aktion aber ist gut. Wenn es auch nur eineinhalb Stunden waren, ich habe es genossen, mal ein bißchen in Landschaft herumzulaufen. Es war schön. Ich habe die Begegnung mit Alexej genossen, und diese Heimfahrt ist klasse. Wieder was Neues erlebt und getan. Ich werde im Hotel umgehend Trekkingagenturen in Almaty kontaktieren, um meine Chance auf einen richtigen Wandertag dort zu erhöhen.
Der Rückweg dauert alles in allem exakt eineinhalb Stunden. Dann setzt uns das (der? die?) Marshrutka an der nordöstlichsten Metrostation ab. Ich bummele ein wenig durch die dortigen Läden, finde eine halbwegs vernünftige Hautcreme (seit meine eigene aufgebraucht ist und ich mir im Samarkander Supermarkt eine Billigcreme zulegte, jucken, spannen und zwicken mir ununterbrochen Gesicht und Hände), für die ich zweieinhalb Pfund Sum auf den Tisch legen muß. Die Kassiererin verfügt, smart, über eine Sumzählmaschine für Einkäufe ab zehn Euro. Dann nehme ich die Metro heim.
Heute bin ich so müde, daß ich beinahe eingeschlafen bin, bevor ich’s noch in die Lobby zum Hotelrestaurant schaffe. Wieder kein Nachtleben, wieder keine Gastroexkursion, selbst die Mails nach Almaty muß ich auf morgen verschieben. Und das der Frau, die in der Schweiz täglich zwölf bis vierzehn Stunden bergwandert. Muß entweder an der Hitze oder am Alter oder an der falschen Hautcreme liegen.
Kamaro telefoniert, Anatoly Wassiliwitsch steigt Berg
Guter Nebeneffekt dieses Ausflugs: Eigentlich, so dachte ich, kann ich kein Französisch. Jetzt aber, im Vergleich mit der Russerei in den vergangenen Wochen, kommt’s mir plötzlich so vor, als könne ich’s doch. Meine Verständnisquote liegt plötzlich nicht mehr bei den fünf bis zehn Prozent, die ich im Russischen erreiche, sondern bei flotten 40 bis 60%. Nu guck. Und was mir nicht alles für Wortschatz einfällt, scheint, ich spreche Französisch, ohne daß mir das klar gewesen wäre.
Zweiter guter Nebeneffekt: An der ersten Polizeikontrolle fällt mir auf, daß mein Paß im Hotel liegt. In Buchara insistierte man darauf, man müsse meinen Paß bis zu meiner Abreise behalten, in Samarkand insistierte man darauf, man müsse meinen Paß bis zu meiner Abreise behalten, in Taschkent aber machte man für die allfällige polizeiliche Registrierung bloß eine Fotokopie und ich mir weiter keine Gedanken: Ich ließ ihn im Hotelsafe. Wenn überall die Pässe im Hotel bleiben, dann auch hier, dachte ich; nö, eigentlich dachte ich irgendwie gar nicht. Der Spannungsgehalt dieses Ausflugs steigt bei der ersten Polizeisperre dementsprechend sprunghaft an. Hatte ich wohl kurz vergessen, daß hier Too Much Suspicion nicht als Sünde, sondern als Primärtugend gilt. Nun trage ich natürlich eine Fotokopie des Passes sowie den Personalausweis (warum nicht, man hat schon meinen Internationalen Führerschein für einen Reisepaß gehalten) bei mir, und trotzdem ist es von sagenhafter Blödheit, seinen Paß nicht dabeizuhaben. Sowas tut man nicht. Nicht auf einem 80-Kilometer-Ausflug, und schon gar nicht in Usbekistan. Auha. Was die Wandertour an Spannung möglicherweise nicht bringt, wird durch den Paßmangel mehr als ausgeglichen.
Wir fahren drei Stunden hinaus nach Chimgan, zu Lonely Planets Zeiten hat’s noch eineinhalb gedauert, kann aber daran liegen, daß sich unser Bus selbst minimalste Steigungen nur im ersten Gang hochquälen kann. Das Terrain wird zunächst hügelig, dann tauchen hinter den Hügeln ernsthafte Berge auf. Es ist fabelhaft, mal raus zu sein aus der Stadt. Vor uns kreuzt eine Herde hübscher Stuten mit Fohlen die Straße.
Weiter oben passieren wir einen Gasthof namens „Edelweiss“. Er hat einen kleinen Pool, der von schrillgrünen Plastikpalmen gesäumt wird, leider habe ich die Kamera nicht schnell genug gezückt.
Um 12 Uhr sind wir in Chimgan, wo ein Stück abseits der Straße von einem Rudel Jungspunde bereits das Camp für die Franzosen errichtet wird. Die Jungs sind die Träger für die Trekkingtage morgen und übermorgen, neun an der Zahl, dazu kommen zwei bis drei Köchinnen und ein weiterer junger Bergführer namens Alexej, den mir Kamaro vorstellt, weil Alexej Englisch spricht.
Es geht aber noch lange nicht los. Erst wird Melone serviert und Fladenbrot. Die ersten Franzosen tänzeln nervös, außerdem herrscht ein bißchen Unmut darüber, daß man heute nur einen Tagesausflug macht, keinen Trek zum nächsten Ort, wie man sich’s wohl vorgestellt hat. Kamaro beschwichtigt, dafür würde morgen umso mehr getrekkt werden.
Freundliche Franzosen
Kurz vor 13 Uhr setzt sich die Karawane endlich in Bewegung. Anatoly Wassiliwitsch voran, sechzehn Franzosen plus eine Deutsche im Gänsemarsch hinterher, Kamaro sammelt am Ende die Reste ein.
Wir laufen ein gutes halbes Stündchen das Tal hoch, krauchen dann ein gutes weiteres halbes Stündchen über steilere, steinige Wegstrecke, stehen dann unterhalb eines kleinen Wasserfalls („Cascadette“ nennt’s eine Französin), dann ist auch schon Schluß mit lustig. Nach nicht mal eineinhalb Stunden. Wir pausieren ausgiebig – wovon eigentlich. Zwanzig Minuten später kommt Alexej den Weg – ein richtiger Weg ist’s natürlich nicht – hoch, an seinem Rucksack klappern zwei Wasserkessel, es wird Tee gekocht, dazu gibts Butterbrot, was auf Russisch übrigens: Butterbrot heißt.
Das Pausieren zieht sich, währenddessen wandert die Sonne hinter die Felsen, die um uns emporragen, und im Schatten wird es kalt. Wir rücken der Sonne hinterher, ich setze mich schließlich ein paar Meter ab, wechsele auf den gegenüberliegenden Hang, wo’s noch Sonne hat und zudem einen schönen Blick ins Tal.
Schöner Blick ins Tal
Nach einer Stunde bricht zumindest Alexej auf, mir wird bedeutet, ich solle mit ihm gehen, komme ich zu spät nach Chimgan zurück, erwische ich vielleicht kein Taxi mehr. Mir nur recht. Ich winke von meinem Hang ein Adieu nach Frankreich und folge Alexej. Und noch die nettesten Franzosen können nicht darüber hinwegtäuschen: Wandern mit achtzehn Mann hoch ist einfach nix.
Mit Alexej hingegen macht es Spaß, in der Abendsonne hinab ins Tal zu steigen. Er ist leidenschaftlicher Amateurfotograf, wir geraten ins Fachsimpeln, er begutachtet und testet meine Kamera, hält allerdings Canon für Nikon überlegen. Man begegnet jetzt übrigens schon der Generation, die Analogfotografie gar nicht mehr kennt. Ich versuche ihm zu erklären, was Dias waren.
Alexej ist 26. Hat einen Master-Abschluß als Elektronik-Ingenieur, hatten wir das nicht schon mal? Außerdem hat er erst Biathlon gemacht, dann Triathlon, jetzt ist er bei Pentathlon, wußte gar nicht, daß es das gibt. Reiten und Fechten gehören dazu. Außerdem ist er in den Alpinismus eingestiegen. Ich bin beeindruckt.
Und er singt das Lied der talentierten, ehrgeizigen Jugend, das ich allerortens höre, das Lied der Hoffnung aufs Ausland. Er sei gut und qualifiziert, sagt er, aber er bekäme in Usbekistan keinen angemessenen Job. Allenfalls Lehrer könnte er werden, aber das will er nicht, er sei Wissenschaftler und wolle als solcher arbeiten, und er brauche eine noch bessere Ausbildung. Über den DAAD bewirbt er sich um einen Studienplatz in Deutschland, aber das täten alle seine Freunde. Er würde auch nach Rußland gehen oder nach Japan oder in die USA, wenn man ihn nur irgendwo nehme. Er befragt mich nach Details zu den Arbeitsbestimmungen für ausländische Studenten, ich kann es ihm nicht sagen.
Alexej
Wir überholen eine Hirtenfamilie mit Schafsherde, deren Zelte wir schon beim Aufstieg sahen, plaudern im Camp noch ein bißchen weiter, essen Äpfel, dann bringt Alexej mich zur Straße, wo ich ein Sammeltaxi nach Gaselkent besteige, der nächsten Kleinstadt, von dort sollen Marshrutkas fahren. Wir verabschieden uns, ich wünsche ihm Glück. Aus ganzem Herzen. Dieser mein Paß, womit eigentlich habe ausgerechnet ich den verdient.
Dieser mein Paß liegt bekanntlich im Hotel. Fällt mir, kaum sind wir unterwegs, wieder siedendheiß ein. Mal gucken, ob ich mir damit ein Problem fange, das problematischer ist, als ich es noch für wünschenswert erachte – Lonely Planet wartet durchaus mit Knaststories auf. Und mal gucken, wie das so klappt mit dem Nach-Taschkent-Zurückkommen. Ich sehe aus dem Fenster, das Taxi (Anmerkung: Es ist natürlich fast nie von „richtigen“ Taxis die Rede – „Taxi“ bedeutet: Typ mit Auto) braust nur so dahin, die Abendsonne zeichnet attraktive Schatten in die Berghänge. Fahre ich hier so durch Usbekistan, denke ich, und freue mich darüber. Und freue mich, das nicht mit sechzehn anderen Leuten plus einem Dutzend Aufpassern und Problemlösern tun zu müssen.
Das Taxi hält direkt an einem Taschkent-Marshrutka. Easy going. Ich steige um – Marshrutkas sind Klein- oder Transporterbusse, die definierte Strecken abfahren, Marschrouten halt, es kostet mich 2.000 Sum, mein Sammeltaxi verlangte 3.000 Sum, das ganze Vergnügen ist also für weniger als drei Euro zu haben.
Es ist ein Vergnügen. Zwei alte Männer setzen sich neben mich, wir unterhalten uns, es werden ein paar anzügliche Witze über mich gerissen und gefragt, ob die Männer hier nicht noch heißer seien als das Wetter, sie plustern sich dabei hitzig. Alles aber absolut im grünen Bereich. Wir fahren nicht, wie auf der Hinfahrt, über die Autobahn, sondern eine Art Landstraße, auf der Suche nach Passagieren, die vom Straßenrand winken. So kriege ich allerlei zu sehen. Zum Beispiel diverse Polizeisperren. Bei einer werden wir rausgewunken. Ich bemühe mich um die Unauffälligkeit einer Topfpflanze. Es werden aber bloß die Papiere des Fahrers kontrolliert, dann dürfen wir weiterfahren.
Dies heute mag nun nicht die Wanderung meiner feuchten Träume gewesen sein, die ganze Aktion aber ist gut. Wenn es auch nur eineinhalb Stunden waren, ich habe es genossen, mal ein bißchen in Landschaft herumzulaufen. Es war schön. Ich habe die Begegnung mit Alexej genossen, und diese Heimfahrt ist klasse. Wieder was Neues erlebt und getan. Ich werde im Hotel umgehend Trekkingagenturen in Almaty kontaktieren, um meine Chance auf einen richtigen Wandertag dort zu erhöhen.
Der Rückweg dauert alles in allem exakt eineinhalb Stunden. Dann setzt uns das (der? die?) Marshrutka an der nordöstlichsten Metrostation ab. Ich bummele ein wenig durch die dortigen Läden, finde eine halbwegs vernünftige Hautcreme (seit meine eigene aufgebraucht ist und ich mir im Samarkander Supermarkt eine Billigcreme zulegte, jucken, spannen und zwicken mir ununterbrochen Gesicht und Hände), für die ich zweieinhalb Pfund Sum auf den Tisch legen muß. Die Kassiererin verfügt, smart, über eine Sumzählmaschine für Einkäufe ab zehn Euro. Dann nehme ich die Metro heim.
Heute bin ich so müde, daß ich beinahe eingeschlafen bin, bevor ich’s noch in die Lobby zum Hotelrestaurant schaffe. Wieder kein Nachtleben, wieder keine Gastroexkursion, selbst die Mails nach Almaty muß ich auf morgen verschieben. Und das der Frau, die in der Schweiz täglich zwölf bis vierzehn Stunden bergwandert. Muß entweder an der Hitze oder am Alter oder an der falschen Hautcreme liegen.
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