Nun also ist klar, welcher Haupttodesgefahr ich unerschrocken ins Auge schauen muß: Dem plötzlichen ICE-Klimaanlagenausfalltod. So manch einer wähnt Fährnisse im wilden Dingsdastan, wo der Reisende doch heuer sein Leben auf dem Bielefelder Bahnsteig aushaucht. Da meine eigenen Reisewagnisse sich nach wie vor auf’s Visawarten und Knöpfe-an-Hemden nähen beschränken, vielleicht ein kleiner Exkurs über Angst. Aus aktuellem Anlaß, lautet doch der erste Kommentar zu meinen Reiseplänen nicht selten: Hoffentlich hast du dein Pfefferspray/ein Messer/die Kalaschnikow/eine Mittelstreckenrakete eingepackt.
Natürlich habe ich Angst. Man ist recht nackt, legt man den vertrauten Kulturkreis ab, recht amputiert ohne Verständnis der Landessprache; Alleinreisen ist das Tollste, was es gibt, solang es einem gut geht, und die Pest, wird man krank oder schwächelt. Fraglos gibt es Fies- und Finsterlinge zuhauf, wer’s nicht glaubt, kann sich wahrscheinlich bei mir gegenüber auf der Davidwache die Bestätigung abholen. Fraglos ist der Finsterling in der Ferne zumeist einer, dessen Lebensumstände den gehobenen Rucksacktouristen aussehen lassen wie ein schlachtreifes Sparschwein. Ein gerüttelt Maß an Vorsicht ist kein schlechter Reisebegleiter. Das Maß an Paranoia Nichtreisender meinen Reisezielen gegenüber aber verblüfft mich schon seit Jahren zutiefst. Man besehe sich Statistiken und lege sich dementsprechend realistischere Ängste zu. Das Fahren auf deutschen Autobahnen beispielsweise. Oder mit einem ICE im Sommer.
Wir scheinen mit einem Weltbild zu hantieren, das durch Medienerregung geformt ist, ohne uns bewußt zu machen, daß Medien bloß durch Erregung leben. Auch ich würde meine Auflage nicht auf Schlagzeilen wie „Heute wieder nix passiert in Kasachstan“ gründen wollen. Ich erinnere mich an ein ebenso bizarres wie bezeichnendes Gespräch mit einem – durchaus intelligenten und gebildeten – Menschen, der über die Kanaren nie hinausgekommen war, der aber eine elaborierte Expertise darüber abgab, wie Afrika so sei. Böse und voller Bestien, wobei sich letzteres explizit nicht auf die Fauna bezog. Sein Fachwissen entstammte einer TV-Reportage über Kindersoldaten in Sierra Leone, Berichten befreundeter Werber über Warnungen vor Car-Napping in Johannisburg und einer Fotostrecke über Halbstarke mit Hyänen an der Leine. Besonders lustig war, daß er diesen Vortrag gegenüber einem langjährigen Afrikareisenden hielt, dessen – naturgemäß höchst konträre – Erzählungen er nicht gelten ließ. Selbst das Konzept, daß Afrika ein Kontinent sei, mit vielen durchaus verschiedenen Ländern, erwies sich als ihm nicht vermittelbar. Er hatte das Elend schließlich mit eigenen Augen im Fernsehen gesehen. Es ist ein Dschungel da draußen, gleich hinter Bielefeld.
Auch die USA hat eine beachtliche Gewaltkriminalitätsrate, und war da nicht einst was mit Car-Napping in Florida? Ich möchte aber mal den sehen, der auf Erwähnung eines bevorstehenden sechswöchigen USA-Trips als erstes fragt, ob man sein Pfefferspray dabei habe.
Ich weiß nicht, wie sich’s mit der exakten Relation verhält, nehme aber aufgrund persönlicher Statistik mal an, auf jeden Finsterling kommen in etwa 500 nette, freundliche, hilfsbereite Leute, die einen oft und gerne in Schutz nehmen, vor Widrigkeiten jedweder Art. Wahrscheinlich werde ich eines Tages auch einem der ersteren begegnen (500 der zweiten Sorte habe ich locker schon durch), dann händige ich artig Geld und Kamera aus und hoffe, er wird mir nicht an Leib und Leben wollen. Bislang stieß mir auf Reisen folgende Unbill zu: Ich hatte mehrfach leichten Reisedurchfall und eine schwere Lebensmittelvergiftung auf dem British-Airways-Flug LA – London. Ich ließ mir in Ulan Bator meine Brieftasche klauen, weil ich wegen Reisedurchfalls transusig war; war aber bloß die
Na-gut-dann-klau-halt-diese-Brieftasche-Brieftasche mit nix außer 40 Dollar drin, von denen ich vermute, die drei ebenso untalentierten wie zerlumpten Trickdiebe hatten weit bessere Verwendung dafür als ich. Aus Papua brachte ich ein paar langlebige Mikroben in aufgekratzten Mückenstichen mit und in der Mongolei fiel ich beim Yak-Scheuchen vom Pferd und brach mir meinen Stolz. Es ist in der Tat ein Dschungel da draußen.
Wovor ich allerdings richtig Angst habe ist, morgen wieder nichts von meinem Visum zu hören. Vorletztes Jahr scheiterte eine Angolareise daran, daß auch nach sieben Wochen noch kein Visum in Sicht war. Andererseits: Was will man denn in Angola. Da reiten doch bloß macheteschwingende Kindersoldaten auf Hyänen einher wie die personifizierten Reiter der Apokalypse.