Der Tagesanbruch sieht mich durch Gänge, Flure, Bügelstuben und surreale Festsäle des Hotel Everest streifen, das iPhone in der Hand wie einen Geigerzähler, Jäger des verlorenen WiFi. Nachdem mich die Rezeptionsmaus endlich einen Blick auf die Master-Paßwortnotiz hat werfen lassen, wobei ich feststellen konnte, sie schreibt große „Z“s wie Zweien, habe ich zwar das Paßwort in den Rechner eingegeben, genutzt hat’s mir nichts. iPhone hingegen weigert sich, überhaupt irgendein WiFi zur Kenntnis zu nehmen. Problemklärung mit Rezeptionsmaus scheitert daran, daß sie keine Ahnung hat, und dies ausschließlich auf Russisch. Schätze, ich suche mir mal besser ein Internetcafé.
Donnerstag, 19. August 2010
19. August. This ain’t no technological breakdown, this is the road to hell.
Nun besteht natürlich angesichts des Everest einerseits eine mehr als gute Chance, das Netzversagen sei das ihre, nicht das meine. Andererseits habe ich – sowie mannigfaltige Netzcafénerds – inzwischen in derart vielen Internetlocations ebenso munter wie ahnungslos wie ausführlich nach dem Blindes-Huhn-Prinzip in den Eingeweiden meiner Netzwerksoftware-Einstellungen herumgefuhrwerkt, bis ich mein jeweiliges Onlinekorn fand, daß mich die Befürchtung plagt, ich könne dabei versehentlich irgendwie den ganzen Kornspeicher niedergebrannt haben.
Was mir zu denken gibt, ist die verweigerte SMTP-Serververbindung – das Problem ist jetzt in zwei Ländern in mindestens sechs verschiedenen Locations aufgetreten, die Wahrscheinlichkeit, es könnte nicht an meinem Rechner liegen, geht damit meines Erachtens gen Null. Außerdem meldet mir meine Software, der AirPort habe eine selbstzugewiesene IP und könne deswegen möglicherweise nicht ins Netz. Nun glaube ich nicht, daß ich dem eine IP zugewiesen hätte, allein, weil ich gar nicht weiß, wie das geht, vermag aber auch nicht zu beschwören, es nicht versehentlich doch getan zu haben. Ich brauche zur Differenzialdiagnose dringend einen garantierten Netzzugang, wofür das Everest sich nicht unbedingt qualifiziert.
Scheine wieder mal der einzige Gast zu sein, nehme an, die anderen haben’s nicht gefunden. Von der Innenstadt kommend, marschiere man zügig nach Nordosten zur Stadt heraus, zunächst durch Gebiete mit großen Wohnblocks, dann mit kleinen Wohnhäusern, schließlich Barracken, dann über Brache mit Gewerbegebieteinsprengseln – hier ein Baumarkt, dort eine Handvoll familienbetriebener Zementmanufakturen. Wo die Straße an den Ruinen einer Tankstelle endet, biege man links ab, und voilá, dort steht das Everest. Es ist verwachsen mit einem Großrestaurant namens Ljudmilla, in dessen surrealem Festsaal, wo einst zum ersten Mai stets der Kolchosenchor sang, ich heute morgen zwei Mädchen mit meinem Begehr nach Frühstück verschreckte. („Kolchosenchor“, fällt mir gerade auf, ist ein schönes Wort – ach, wäre ich doch musikalisch, ich studierte mit einem Kolchosenchor aus Korsakow-Kosaken schwermütige Trinklieder ein!)
Ich laufe nach Südwesten. Brache, Gewerbe, Barracken, Häuschen, schäbige Wohnblocks, bessere Wohnblocks, Internetcafé.
Man halte die Jugend von Computern fern. Die intellektuellen Schädigungen sind unabsehbar.
Englisch spricht keiner, macht ja nix, ich verhandele die Chose (schade, daß es keine Kolchosenchose ist) schließlich nicht zum ersten Mal. Kann ich mit meinem Notebook ins Netz, frage ich. Ich wiederhole „mein Notebook“ in zwei Varianten, weil ich nicht weiß, ob „Notebook“ im Russischen feminin oder maskulin ist. Die Internetcafémaus versteht kein Wort und rappelt mir einen epischen Text entgegen. Ich verstünde leider nur ein bißchen Russisch, sage ich, dann hole ich mein Notebook heraus. „Notebook“, sagt sie, sie betont es nicht anders als ich, rappelt noch ein bißchen, sagt mir eine Platznummer. „Gibt’s WiFi“, frage ich, oder Kabel, ich weise auf den Kabelanschluß. Maus ist völlig überfordert und rappelt einen Jüngling mit bescheuertem Zöpfchen auf kahlrasiertem Schädel herbei, der mir den Platz weist. Ich deute auf den Kabelanschluß; Njet, sagt er. Mein Rechner avisiert zwei paßwortgeschützte WiFi-Zugänge. „Gibt’s WiFi“, frage ich und zeige auf die Meldung. Zöpfchen ist völlig überfordert, „WiFi“, übersetzt der Nerd mir zur Linken, ohne den Blick von der überrumpelten Schar Zombies zu wenden, die er gerade niederknallt. Er betont es nicht anders als ich. Moment, sagt Zöpfchen und wendet die effektivste aller Problemlösungsstrategien an, in dem er verschwindet und einfach nicht wieder auftaucht. Ich warte ein Weilchen, gehe dann zur Maus zurück. „Gibt’s WiFi“, frage ich, auf die WiFi-Meldung zeigend. Maus sagt, sie spräche nur Russisch. Was ein glücklicher Zufall, daß ich auf Russisch gefragt habe. Einen Antrag auf Mensa-Mitgliedschaft ihrerseits halte ich für wenig aussichtsreich. „Wissen Sie, was ,WiFi’ ist“, frage ich; sie starrt mich an mit einem Gesichtsausdruck wie Russisch Brot. Klar, ich habe ihr ja gesagt, ich spräche nur wenig Russisch, insofern ist es per definitionem unmöglich, daß sie ein komplexes Wort wie „WiFi“ aus meinem Munde verstehen könnte. Wie auch. Als sie mich nicht los wird, rappelt sie einen Zweitjüngling zu Hilfe, der aber bloß von weitem einen angewiderten Blick auf mich wirft, bevor er zum Counterstrike zurückkehrt.
Muß man auch erstmal finden, ein Internetcafé, das nicht weiß, ob es WiFi hat. Die Kabelfrage noch mal aufzuwerfen, erscheint mir unter diesen Umständen sinnlos, checke ich wenigstens über Webmail meine Nachrichten, ob Wichtiges dabei ist.
Ein Tsunami der Wichtigkeit bricht über mir zusammen. Es werden dringlich Dinge angefordert, die sich nur mit Computer versenden ließen. Houston meldet, man habe mit Telekom- und Apple-Hotlines telefoniert, Telekom erkläre sich unschuldig (wäre mir neu – bislang waren die immer und an allem Schuld!), Apple mutmaßt, es läge an meiner Soft- oder Hardware, für genauere Diagnostik bräuchte man eine Seriennummer des Rechners, und ich solle doch bitte mit dem Rechner online ein Formular ausfüllen. Witzbolde. Behielten sie allerdings recht, hieße das wohl, es gingen die Lichter aus im Blogwerk.
Das führt hier alles zu nichts. Jetzt hilft nur noch reich sein oder so tun als ob. Mit Geld geht alles. Ich brauche sofort ein Fünf-Sterne-Hotel.
Mein Plan, mich unauffällig ins Fünf-Sterne-Raddisson einzuschleichen, krankt, was die Unauffälligkeit angeht, schon daran, daß ich mit meinem Rucksack voller Kamera und Computer erstmal die schrille Sirene des Metalldetektors auslöse. Ich sehe übrigens derzeit nicht unbedingt fünfsternig aus, vielleicht gäb’s noch einen halben dafür, daß ich mir gestern die Haare wusch. Sie stehen somit in starkem Kontrast zu meiner Hose, bin seit geraumer Zeit nirgends dauerhaft genug gewesen, als daß eine Hosenwaschung in Frage gekommen wäre. Außerdem liegt ein einstündiger Treck mit schwerem Marschgepäck bei Mittagshitze durch Brache, Gewerbe, Barracken, Häuschen, schäbige Wohnblocks, bessere Wohnblocks, Innenstadt hinter mir.
Richtig gute Hotels aber erkennt man daran, daß dort niemals eine Miene verzogen wird, nicht mal, wenn ein Schmuddelkind wie ich unter Sirenengeheul auf Schwachmatensandalen in die Lobby geschlappt kommt. Ich solle doch bitte Platz nehmen und das Free WiFi genießen.
Ich nehme Platz in einem Lederfauteuil und genieße das Free WiFi. Und siehe! Es funktioniert! Und zwar ALLES, selbst das Mailverschicken, worauf inzwischen nicht mal mehr Apple gehofft hätte. Ich hole Mails, verschicke wichtige Dinge, erübrige gar ein paar Minuten, meinen Wanderplan zum Wochenende weiterzuverfolgen, und empfinde tiefes Glück. Eine der ersten Mails, die ich zu sehen kriege, stammt übrigens von meinem Tangopartner, der nicht nur tanzt wie ein junger Gott, sondern offensichtlich auch über Geheimwissen verfügt, er sendet mir diverse Tips, wie ich den Blog mit coolen Interlinks aufrüschen könnte; nichts, was sich nicht nach einem Informatikstudium und während eines mehrwöchigen Freizeitaufenthaltes im Raddisson Astana spielend bewältigen ließe. Danke, Olaf; ‘Tschuldigung, liebe Leser, aber, äh, naja – ein andermal!
Jetzt muß ich zunächst beschwingt durch Innenstadt, bessere Wohnblocks, schäbige Wohnblocks, Häuschen, Barracken, Gewerbe, Brache heim ins Everest eilen, mein Geraffel zusammenschmeißen und sehen, daß ich den Zug nach Almaty erwische.
In diesem Zusammenhang erwische ich den ersten fließend englischsprachigen Menschen Kasachstans – mein Taxifahrer. Ist’s zu glauben? Er selbst sagt, er sei mit Sicherheit der einzige englischkundige Taxifahrer des Landes. Was daran liegt, daß er vor acht Tagen noch Banker war, bis wegen der Wirtschaftskrise in großem Stil entlassen wurde. Er heißt Asemkhan, ist 31, erzählt von den weltweiten Reisen seiner Mutter. Er würde auch gerne reisen. Er habe eine so gute Ausbildung, und jetzt müsse er taxifahren. Das Taxi ist übrigens sein eigener BMW. Wären nicht seine Frau und die zwei kleinen Kinder, er würde alles versuchen, ins Ausland zu gehen, hier habe er beruflich keinerlei Chancen. Wieso das, frage ich; er sagt, man bekäme nur mit Beziehungen einen Job, alle Diplome helfen nicht, man könne ein Genie sein, ohne Vitamin B sei keine Karriere zu machen. Er erzählt von den Verträgen, die er mit einer Berliner Bank abschloß, dann beginnt er, sich schwelgerisch über BMW auszulassen. Er liebe diese Autos. Aber nur mit Gangschaltung, Automatik, das sei doch kein richtiges Autofahren. Wir Deutschen hätten Glück – die besten Autos der Welt, und dann keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen. Als wir am Bahnhof angekommen sind, zeigt er mir sein T-Shirt: Ein BMW-Logo prangt über dem Herzen, und ein weiteres schmückt seine Gürtelschnalle. Daß ich einen 37 Jahre alten Mercedes fahre, läßt er aber gerade noch gelten. Er ist ein großer Sympath, ich hätte ihn gern eher getroffen und mich länger mit ihm unterhalten. Wer einen kompetenten Dolmetscher/Führer/Fahrer in Astana braucht, wende sich wegen Asemkhans Mailadresse bitte an mich!
Der Zug wartet bereits, obwohl ich fast eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof bin, und ich erleide einen mittelschweren Schock. Da ich wiederum ein Zweiter-Klasse-Ticket habe, bin ich von Kopf bis Fuß auf eine weitere Platskartny-Nacht eingestellt, sowohl innerlich als auch was Outfit & Equipment angeht. So stehe ich, zerknautscht und mit zerfledderter Proviant-Plastiktüte nebst Front- und Rückbeutel, vor dem letzten Schrei des Schienenreisens, dem spanischen Talgo-Schnellzug. In Plastik gegossene Möchtegernmoderne. Zugbegleiterinnen im adretten Fünfzigerjahre-Stewardessenlook. Vier-Personen-Abteile mit Bord¬telefonen, Steckdose und, total bizarr, einem Waschbecken, den Menschen möchte ich sehen, der sich vor drei Fremden im Business-Anzug herzhaft die Zähne schrubbt. Es gibt an Bord sogar WiFi, funktioniert zwar nicht, trotzdem cool. War der letzte Zug das Landei-Shuttle, ist dieser hier der Biznesmeny-Express. Sprich: Ich bin fast so underdressed wie im Raddisson. Das wäre mal ein Tag für die Tangoschuhe gewesen. Gut, daß ich nicht auch noch meine vier Melonen dabei habe.
Außerdem bin ich enttäuscht. Ich hätte mehr Lust auf Platskartny gehabt. Scheiß auf die Bandscheiben, wer braucht schon Bandscheiben. Hatte extra noch diverse Lebensmittel besorgt, die sich gut teilen und anbieten lassen. Außerdem sieht dieser Talgo arg nach Nichtraucherzug aus. Platskartny ist irgendwie lustiger.
Dafür bietet sich hier ein zugegeben fulminantes Bett, in dem ich wahrscheinlich richtig hätte schlafen können, hätte sich nicht der Herr neben mir als Radaubruder erwiesen. Aber in der Bar läßt sich’s rauchen. Und ein nettes Gespräch führe ich vorm Einschlafen noch, mit Aigul, der Lehrerin in der Koje schräg über mir, erst auf Russisch, dann stellen wir fest, ihr Englisch ist immer noch einen Tick tauglicher als mein Russisch.
Sie kommt aus Karaganda und erzählt mir, wie groß dort früher die deutsche Minderheit war, nachdem Stalin die Deutschen in die kasachische Steppe deportiert hatte. Anfang der Neunziger seien jedoch die meisten nach Deutschland gegangen, so wie auch viele Russen das Land verließen, der prozentuale Anteil der ethnischen Kasachen stiege deswegen ständig, früher hätte er bloß bei 30% gelegen. All dies habe ich so auch gelesen.
In Sowjetzeiten sei die kasachische Sprache ebensowenig wie die deutsche erwünscht gewesen, erzählt Aigul weiter, sie spreche trotzdem Kasachisch, des engen Kontaktes zu ihrem Großvater wegen, ihre zwei Brüder allerdings nicht. Schulen und Universitäten waren russischsprachig. Sie selbst denke auf Russisch, spräche sie Kasachisch, müsse sie hin- und zurückübersetzen. Präsident Nasarbajew habe verkündet, innerhalb von zehn Jahren müsse sich das Land auf Kasachisch umstellen. Interessant, daß unser Gespräch wiederum, wie mit Zhongaya, auf die Sprache kommt. Beiden schien dies das Wichtigste zu sein, was sie über ihr Land berichten wollten; welch Bestätigung dafür, wie sehr Identität an Sprache hängt. Aus diesem Grunde forciere Nasarbajew das Kasachische, als Kitt einer ja quasi erst kürzlich erfundenen Nation. Berdymuchamedov und Karimov halten es mit dem Turkmenischen bzw. Usbekischen nicht anders. Scharf auf Sprache, wie ich bin, würde ich natürlich die Zweisprachigkeit zementieren, wäre ich Präsident vons Ganze, und dann übrigens könnten sich selbst Turkmenbashy, Berdymuchamedov und Nasarbajew architektonisch mal ganz warm anziehen.
Aigul und der schweigsame Jüngling über mir schlafen, ich liege wach und verfluche den Radaubruder, der mit seinem Leselicht an Stroboskopeffekten probt. Aber leider ist in diesem Zug selbst die Klimaanlage so perfekt eingestellt, daß keine Chance darauf besteht, er könne wenigstens in absehbarer Zeit erfrieren.
Was mir zu denken gibt, ist die verweigerte SMTP-Serververbindung – das Problem ist jetzt in zwei Ländern in mindestens sechs verschiedenen Locations aufgetreten, die Wahrscheinlichkeit, es könnte nicht an meinem Rechner liegen, geht damit meines Erachtens gen Null. Außerdem meldet mir meine Software, der AirPort habe eine selbstzugewiesene IP und könne deswegen möglicherweise nicht ins Netz. Nun glaube ich nicht, daß ich dem eine IP zugewiesen hätte, allein, weil ich gar nicht weiß, wie das geht, vermag aber auch nicht zu beschwören, es nicht versehentlich doch getan zu haben. Ich brauche zur Differenzialdiagnose dringend einen garantierten Netzzugang, wofür das Everest sich nicht unbedingt qualifiziert.
Scheine wieder mal der einzige Gast zu sein, nehme an, die anderen haben’s nicht gefunden. Von der Innenstadt kommend, marschiere man zügig nach Nordosten zur Stadt heraus, zunächst durch Gebiete mit großen Wohnblocks, dann mit kleinen Wohnhäusern, schließlich Barracken, dann über Brache mit Gewerbegebieteinsprengseln – hier ein Baumarkt, dort eine Handvoll familienbetriebener Zementmanufakturen. Wo die Straße an den Ruinen einer Tankstelle endet, biege man links ab, und voilá, dort steht das Everest. Es ist verwachsen mit einem Großrestaurant namens Ljudmilla, in dessen surrealem Festsaal, wo einst zum ersten Mai stets der Kolchosenchor sang, ich heute morgen zwei Mädchen mit meinem Begehr nach Frühstück verschreckte. („Kolchosenchor“, fällt mir gerade auf, ist ein schönes Wort – ach, wäre ich doch musikalisch, ich studierte mit einem Kolchosenchor aus Korsakow-Kosaken schwermütige Trinklieder ein!)
Ich laufe nach Südwesten. Brache, Gewerbe, Barracken, Häuschen, schäbige Wohnblocks, bessere Wohnblocks, Internetcafé.
Man halte die Jugend von Computern fern. Die intellektuellen Schädigungen sind unabsehbar.
Englisch spricht keiner, macht ja nix, ich verhandele die Chose (schade, daß es keine Kolchosenchose ist) schließlich nicht zum ersten Mal. Kann ich mit meinem Notebook ins Netz, frage ich. Ich wiederhole „mein Notebook“ in zwei Varianten, weil ich nicht weiß, ob „Notebook“ im Russischen feminin oder maskulin ist. Die Internetcafémaus versteht kein Wort und rappelt mir einen epischen Text entgegen. Ich verstünde leider nur ein bißchen Russisch, sage ich, dann hole ich mein Notebook heraus. „Notebook“, sagt sie, sie betont es nicht anders als ich, rappelt noch ein bißchen, sagt mir eine Platznummer. „Gibt’s WiFi“, frage ich, oder Kabel, ich weise auf den Kabelanschluß. Maus ist völlig überfordert und rappelt einen Jüngling mit bescheuertem Zöpfchen auf kahlrasiertem Schädel herbei, der mir den Platz weist. Ich deute auf den Kabelanschluß; Njet, sagt er. Mein Rechner avisiert zwei paßwortgeschützte WiFi-Zugänge. „Gibt’s WiFi“, frage ich und zeige auf die Meldung. Zöpfchen ist völlig überfordert, „WiFi“, übersetzt der Nerd mir zur Linken, ohne den Blick von der überrumpelten Schar Zombies zu wenden, die er gerade niederknallt. Er betont es nicht anders als ich. Moment, sagt Zöpfchen und wendet die effektivste aller Problemlösungsstrategien an, in dem er verschwindet und einfach nicht wieder auftaucht. Ich warte ein Weilchen, gehe dann zur Maus zurück. „Gibt’s WiFi“, frage ich, auf die WiFi-Meldung zeigend. Maus sagt, sie spräche nur Russisch. Was ein glücklicher Zufall, daß ich auf Russisch gefragt habe. Einen Antrag auf Mensa-Mitgliedschaft ihrerseits halte ich für wenig aussichtsreich. „Wissen Sie, was ,WiFi’ ist“, frage ich; sie starrt mich an mit einem Gesichtsausdruck wie Russisch Brot. Klar, ich habe ihr ja gesagt, ich spräche nur wenig Russisch, insofern ist es per definitionem unmöglich, daß sie ein komplexes Wort wie „WiFi“ aus meinem Munde verstehen könnte. Wie auch. Als sie mich nicht los wird, rappelt sie einen Zweitjüngling zu Hilfe, der aber bloß von weitem einen angewiderten Blick auf mich wirft, bevor er zum Counterstrike zurückkehrt.
Muß man auch erstmal finden, ein Internetcafé, das nicht weiß, ob es WiFi hat. Die Kabelfrage noch mal aufzuwerfen, erscheint mir unter diesen Umständen sinnlos, checke ich wenigstens über Webmail meine Nachrichten, ob Wichtiges dabei ist.
Ein Tsunami der Wichtigkeit bricht über mir zusammen. Es werden dringlich Dinge angefordert, die sich nur mit Computer versenden ließen. Houston meldet, man habe mit Telekom- und Apple-Hotlines telefoniert, Telekom erkläre sich unschuldig (wäre mir neu – bislang waren die immer und an allem Schuld!), Apple mutmaßt, es läge an meiner Soft- oder Hardware, für genauere Diagnostik bräuchte man eine Seriennummer des Rechners, und ich solle doch bitte mit dem Rechner online ein Formular ausfüllen. Witzbolde. Behielten sie allerdings recht, hieße das wohl, es gingen die Lichter aus im Blogwerk.
Das führt hier alles zu nichts. Jetzt hilft nur noch reich sein oder so tun als ob. Mit Geld geht alles. Ich brauche sofort ein Fünf-Sterne-Hotel.
Mein Plan, mich unauffällig ins Fünf-Sterne-Raddisson einzuschleichen, krankt, was die Unauffälligkeit angeht, schon daran, daß ich mit meinem Rucksack voller Kamera und Computer erstmal die schrille Sirene des Metalldetektors auslöse. Ich sehe übrigens derzeit nicht unbedingt fünfsternig aus, vielleicht gäb’s noch einen halben dafür, daß ich mir gestern die Haare wusch. Sie stehen somit in starkem Kontrast zu meiner Hose, bin seit geraumer Zeit nirgends dauerhaft genug gewesen, als daß eine Hosenwaschung in Frage gekommen wäre. Außerdem liegt ein einstündiger Treck mit schwerem Marschgepäck bei Mittagshitze durch Brache, Gewerbe, Barracken, Häuschen, schäbige Wohnblocks, bessere Wohnblocks, Innenstadt hinter mir.
Richtig gute Hotels aber erkennt man daran, daß dort niemals eine Miene verzogen wird, nicht mal, wenn ein Schmuddelkind wie ich unter Sirenengeheul auf Schwachmatensandalen in die Lobby geschlappt kommt. Ich solle doch bitte Platz nehmen und das Free WiFi genießen.
Ich nehme Platz in einem Lederfauteuil und genieße das Free WiFi. Und siehe! Es funktioniert! Und zwar ALLES, selbst das Mailverschicken, worauf inzwischen nicht mal mehr Apple gehofft hätte. Ich hole Mails, verschicke wichtige Dinge, erübrige gar ein paar Minuten, meinen Wanderplan zum Wochenende weiterzuverfolgen, und empfinde tiefes Glück. Eine der ersten Mails, die ich zu sehen kriege, stammt übrigens von meinem Tangopartner, der nicht nur tanzt wie ein junger Gott, sondern offensichtlich auch über Geheimwissen verfügt, er sendet mir diverse Tips, wie ich den Blog mit coolen Interlinks aufrüschen könnte; nichts, was sich nicht nach einem Informatikstudium und während eines mehrwöchigen Freizeitaufenthaltes im Raddisson Astana spielend bewältigen ließe. Danke, Olaf; ‘Tschuldigung, liebe Leser, aber, äh, naja – ein andermal!
Jetzt muß ich zunächst beschwingt durch Innenstadt, bessere Wohnblocks, schäbige Wohnblocks, Häuschen, Barracken, Gewerbe, Brache heim ins Everest eilen, mein Geraffel zusammenschmeißen und sehen, daß ich den Zug nach Almaty erwische.
In diesem Zusammenhang erwische ich den ersten fließend englischsprachigen Menschen Kasachstans – mein Taxifahrer. Ist’s zu glauben? Er selbst sagt, er sei mit Sicherheit der einzige englischkundige Taxifahrer des Landes. Was daran liegt, daß er vor acht Tagen noch Banker war, bis wegen der Wirtschaftskrise in großem Stil entlassen wurde. Er heißt Asemkhan, ist 31, erzählt von den weltweiten Reisen seiner Mutter. Er würde auch gerne reisen. Er habe eine so gute Ausbildung, und jetzt müsse er taxifahren. Das Taxi ist übrigens sein eigener BMW. Wären nicht seine Frau und die zwei kleinen Kinder, er würde alles versuchen, ins Ausland zu gehen, hier habe er beruflich keinerlei Chancen. Wieso das, frage ich; er sagt, man bekäme nur mit Beziehungen einen Job, alle Diplome helfen nicht, man könne ein Genie sein, ohne Vitamin B sei keine Karriere zu machen. Er erzählt von den Verträgen, die er mit einer Berliner Bank abschloß, dann beginnt er, sich schwelgerisch über BMW auszulassen. Er liebe diese Autos. Aber nur mit Gangschaltung, Automatik, das sei doch kein richtiges Autofahren. Wir Deutschen hätten Glück – die besten Autos der Welt, und dann keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen. Als wir am Bahnhof angekommen sind, zeigt er mir sein T-Shirt: Ein BMW-Logo prangt über dem Herzen, und ein weiteres schmückt seine Gürtelschnalle. Daß ich einen 37 Jahre alten Mercedes fahre, läßt er aber gerade noch gelten. Er ist ein großer Sympath, ich hätte ihn gern eher getroffen und mich länger mit ihm unterhalten. Wer einen kompetenten Dolmetscher/Führer/Fahrer in Astana braucht, wende sich wegen Asemkhans Mailadresse bitte an mich!
Der Zug wartet bereits, obwohl ich fast eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof bin, und ich erleide einen mittelschweren Schock. Da ich wiederum ein Zweiter-Klasse-Ticket habe, bin ich von Kopf bis Fuß auf eine weitere Platskartny-Nacht eingestellt, sowohl innerlich als auch was Outfit & Equipment angeht. So stehe ich, zerknautscht und mit zerfledderter Proviant-Plastiktüte nebst Front- und Rückbeutel, vor dem letzten Schrei des Schienenreisens, dem spanischen Talgo-Schnellzug. In Plastik gegossene Möchtegernmoderne. Zugbegleiterinnen im adretten Fünfzigerjahre-Stewardessenlook. Vier-Personen-Abteile mit Bord¬telefonen, Steckdose und, total bizarr, einem Waschbecken, den Menschen möchte ich sehen, der sich vor drei Fremden im Business-Anzug herzhaft die Zähne schrubbt. Es gibt an Bord sogar WiFi, funktioniert zwar nicht, trotzdem cool. War der letzte Zug das Landei-Shuttle, ist dieser hier der Biznesmeny-Express. Sprich: Ich bin fast so underdressed wie im Raddisson. Das wäre mal ein Tag für die Tangoschuhe gewesen. Gut, daß ich nicht auch noch meine vier Melonen dabei habe.
Außerdem bin ich enttäuscht. Ich hätte mehr Lust auf Platskartny gehabt. Scheiß auf die Bandscheiben, wer braucht schon Bandscheiben. Hatte extra noch diverse Lebensmittel besorgt, die sich gut teilen und anbieten lassen. Außerdem sieht dieser Talgo arg nach Nichtraucherzug aus. Platskartny ist irgendwie lustiger.
Dafür bietet sich hier ein zugegeben fulminantes Bett, in dem ich wahrscheinlich richtig hätte schlafen können, hätte sich nicht der Herr neben mir als Radaubruder erwiesen. Aber in der Bar läßt sich’s rauchen. Und ein nettes Gespräch führe ich vorm Einschlafen noch, mit Aigul, der Lehrerin in der Koje schräg über mir, erst auf Russisch, dann stellen wir fest, ihr Englisch ist immer noch einen Tick tauglicher als mein Russisch.
Sie kommt aus Karaganda und erzählt mir, wie groß dort früher die deutsche Minderheit war, nachdem Stalin die Deutschen in die kasachische Steppe deportiert hatte. Anfang der Neunziger seien jedoch die meisten nach Deutschland gegangen, so wie auch viele Russen das Land verließen, der prozentuale Anteil der ethnischen Kasachen stiege deswegen ständig, früher hätte er bloß bei 30% gelegen. All dies habe ich so auch gelesen.
In Sowjetzeiten sei die kasachische Sprache ebensowenig wie die deutsche erwünscht gewesen, erzählt Aigul weiter, sie spreche trotzdem Kasachisch, des engen Kontaktes zu ihrem Großvater wegen, ihre zwei Brüder allerdings nicht. Schulen und Universitäten waren russischsprachig. Sie selbst denke auf Russisch, spräche sie Kasachisch, müsse sie hin- und zurückübersetzen. Präsident Nasarbajew habe verkündet, innerhalb von zehn Jahren müsse sich das Land auf Kasachisch umstellen. Interessant, daß unser Gespräch wiederum, wie mit Zhongaya, auf die Sprache kommt. Beiden schien dies das Wichtigste zu sein, was sie über ihr Land berichten wollten; welch Bestätigung dafür, wie sehr Identität an Sprache hängt. Aus diesem Grunde forciere Nasarbajew das Kasachische, als Kitt einer ja quasi erst kürzlich erfundenen Nation. Berdymuchamedov und Karimov halten es mit dem Turkmenischen bzw. Usbekischen nicht anders. Scharf auf Sprache, wie ich bin, würde ich natürlich die Zweisprachigkeit zementieren, wäre ich Präsident vons Ganze, und dann übrigens könnten sich selbst Turkmenbashy, Berdymuchamedov und Nasarbajew architektonisch mal ganz warm anziehen.
Aigul und der schweigsame Jüngling über mir schlafen, ich liege wach und verfluche den Radaubruder, der mit seinem Leselicht an Stroboskopeffekten probt. Aber leider ist in diesem Zug selbst die Klimaanlage so perfekt eingestellt, daß keine Chance darauf besteht, er könne wenigstens in absehbarer Zeit erfrieren.
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