Das Hotel ist überaus proper und hat natürlich
Free WiFi, bloß funktionieren tut’s nicht. Auf sowohl Rechner wie iPhone laufen ca. 80% aller Onlineangelegenheiten gar nicht, dies aber auf gänzlich unterschiedliche Art und Weise. Der Rechner gelangt, wenn auch unendlich langsam, ins Netz, das iPhone nicht. Das iPhone kann Mails verschicken, der Rechner nicht. Mails empfangen können beide abwechselnd mal sehr wohl, dann wieder keineswegs. Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn in meinen Augen. Wir bräuchten hier den Dr. House der Informatik. Hätte mir einen der vielen Elektronikingenieure, die meinen Weg pflasterten, mitnehmen sollen. Die einzig sinnvolle Erklärung für die Technologieausfälle schiene mir der Böse Blick zu sein – trüge ich nicht am Handgelenk das Antiböserblick-Kamelhaararmband von Lena, in der Brieftasche das Antiböserblickauge von Serdar und um den Hals schon ewig das Antiböserblick-Santeríaamulett aus Venezuela. Daran kann’s also auch nicht liegen.
Ich spiele sowohl auf meinem Zimmer als auch in der Lobby alle denkbaren Varianten durch, um 13 Uhr holt mich der sehr nette Herr Augustin vom Goethe-Institut ab, wir wollen dort gemeinsam daran weiterspielen, Goethe ist nämlich verbürgt online. Bis ich durch die Tür trete. Da bricht nämlich sofort deren Server zusammen.
Das Goethe-Institut ist weniger repräsentativ als das Taschkenter, es liegt recht bodenständig in den obersten Stockwerken eines angegrauten Gebäudes, hat aber eine Bibliothek voll mit Zeitungen. Zeitungen! Echte Zeitungen! Lecker! Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, ich könnte mir umgehend einen Alternativplan für Almaty vorstellen. Ich bin im wirklichen Leben Zeitungsjunkie und ernähre mich seit vier Wochen von nichts als gelegentlichen englischen Newstickern. Wollüstig streiche ich über die Seiten einer fast neuen „Zeit“ und seufze.
Der Server erholt sich nicht, aber Herr Augustin macht Kaffee. Echten Kaffee! Ich schütte so viel wie möglich davon in mich hinein, aber es hilft nichts: Ich erhole mich genauso wenig wie der Server. Ich bin müde. Ich bleibe müde.
Nachdem wir bei den Computerhökern in Erdgeschoß und Keller vergeblich nach einem Mac-Kundigen gesucht haben, verabschiede ich mich. Das Goethe-Institut liegt gut, nämlich am anderen Ende der Stadt, zu meinem Hotel muß ich einmal quer durch’s Zentrum.
Was wahrlich perfide ist: An der Rezeption lag heute morgen ein Gratis-Stadtplan aus,
Courtesy of Umex Real Estate Agency. Wendet sich das ahnungslose Opfer mit dem Plan in der Hand nun der Sonne nach gen Südwesten, wird es nach zehn Minuten merken, daß hier irgendwie gar nichts stimmt. Nach weiteren zehn Minuten wird es sich hoffnungslos verirrt haben, und wenn es schließlich vor der Einsicht kapitulieren muß, daß es ihm niemals gelingen kann, diese Stadt je wieder zu verlassen, kauft es sich notgedrungen eine Immobilie. Deshalb hat der Stadtplan oben Süden und unten Norden, ohne darauf irgendwie hinzuweisen. Abgefeimt, oder?
Almaty ist hübsch – lange, gerade Straßen, von üppigen Bäumen gesäumt, alte Häuser, viele Parks. Ein fast europäisches Flair. Wär ich doch bloß nicht so müde. Ich überlege, meine gestrige Raddisson-Invasion heute im Hyatt aufzuführen, lande stattdessen aber auf Herrn Augustins Tip hin im
Coffeedelia. Und, was soll ich sagen: Internet! Mailversand! Mailempfang! Café Latte! Und das alles gleichzeitig! Hier geh’ ich nie wieder weg!
Tu ich dann doch. Schweren Herzens. All der Café Latte jedoch vermag nichts gegen diese bleierne Müdigkeit auszurichten. Zwar habe ich via Herr Augustin eine Einladung zu einer Foto-Vernissage, was mich eigentlich lockt – Almaty ragt in Sachen Kunst- und Kulturszene aus den zentralasiatischen Städten wohl unangefochten heraus –, die aber beginnt bereits um 19:30, und zu dieser Zeit erreiche ich gerade erst das Hotel und befinde mich in keiner vernissagenpräsentablen Verfassung. Ich dusche erstmal, dann gehe ich stattdessen in die hübsche kleine Schaschlikeria gegenüber des Hotels, die hinter einer Hecke ihre Schaschlikveranda versteckt.
Ich bestelle irgendwas, das ich nicht ganz begreife, aber jedenfalls mit Lamm. Von Hühnern habe ich seit Buchara die Finger gelassen. Mineralwasser gibt’s nicht, na schön, trinke ich halt Bier, ist ja auch lecker. Vor und nach der ziemlich guten Lammbratpfanne arbeite ich am Blogwerk, dann gesellt sich Wladimir zu mir.
Wladimir arbeitet im Cargo-Airline-Management, lebt in Moskau, befindet sich auf zweitägiger Geschäftsreise. Er ist fünfzig, sieht aber jünger aus, Englisch spricht er noch weniger als ich Russisch, was man bekanntlich erstmal hinkriegen muß – und nichtsdestotrotz unterhalten wir uns drei Stunden lang. Und wieder bin ich verblüfft, wie gut das geht, wenn’s nur beide Seiten wollen. Wir greifen zu allen Tricks und Kniffen, um uns verständlich zu machen, zeichnen auf Papierservietten, kommen Worten mithilfe von Gegensatzpaaren auf die Schliche, einmal ruft Wladimir einen Freund in Moskau zum Dolmetschen an, der allerdings auch nicht recht Englisch spricht, wie ich beim Telefonat mit ihm feststelle. Mein iPhone mit dem Russischwörterbuch-App hängt leider oben im Hotelzimmer an der Steckdose, vielleicht ganz gut, so ist’s lustiger. Andererseits hätte ich mich glatt mit einem Anruf bei meinem Russischbeauftragten in Hamburg revanchiert. Wladimir und ich verplaudern die Stunden, trinken die Biervorräte bis auf die Grundfeste nieder und haben Spaß. Erwartungsgemäß muß ich am Ende des Abends zwar zu physischer Gewalt greifen, ihn loszuwerden, er steht natürlich inzwischen in entfesselter Brunst, das aber ist eine Kulturtechnik, die ich nun wahrlich aus dem Effeff beherrsche.
Beim Anblick des Bettes entsinne ich mich schlagartig wieder meiner Müdigkeit. Hatte ich zwischenzeitlich ganz vergessen, war zu viel los. Läßt sich nun aber ja gut und gerne weiterverfolgen das Thema, und zwar mit tiefem, ausgiebigen Schlaf, in einem Bett von der Breite mindestens des Nurzhol Boulevards und ganz ohne nervensägende Zimmergenossen – wie gut man’s doch bisweilen haben kann!