Dies wäre ihr Wandertag gewesen. So lautete der Plan. In die Berge, die von Süden schroff und schneebedeckt auf die Stadt hinuntersehen. Einen Bergführer konnte ich mir zwar nicht mehr organisieren, es ist auch hier Hochsaison, und der vom netten Herrn Augustin aufgezeichnete Wandervorschlag schien mir nicht recht befriedigend, ich entschloß mich aber zu einer im Lonely Planet skizzierten Route, die wegen einprägsamer Wegmarken auch ohne Wanderkarte machbar sein müßte – in der Hoffnung, die Berge haben sich seit Lonely Planets Erscheinungsdatum nicht allzuviel bewegt. So lautete der Plan. Eigentlich.
Denn als ich aufwache ist es zum einen bereits neun, und zum anderen sind mir Kopf und Glieder schwer wie die Wolkendecke, die sich über die Stadt gelegt hat. Beides wenig motivierend – was die Wolkendecke oben in den Bergen bedeutet, vermag ich nicht zu erahnen, die Berge sind hoch, es geht bereits relativ stadtnah auf über 3000 Meter. Was mir mein Kopf und meine Glieder sagen, ist hingegen klar: Zu viel Bier.
Andererseits, denke ich beim Frühstück, war ich schon gestern bierfrei erbärmlich müde. Und habe mich seit Hamburg nicht mehr betrunken, wie ich seit Hamburg keinen Tag mal einfach nichts getan habe. Vielleicht soll das auch mal sein. Vielleicht erklärt sich die unerklärliche gestrige Müdigkeit daraus, daß es schlicht anstrengend ist, per Bahn in zwei Monaten von Hamburg nach Shanghai zu fahren. Vielleicht mache ich heute einfach mal: Gar nichts.
Ich mache zumindest den halben Tag gar nichts – außer schlafen. Nachmittags aber treibt mich dann doch das Pflichtgefühl ans Blogwerk und hinaus, zum
Coffeedelia, wo sehr viel Kaffee mich nur sehr wenig munterer macht. Netzverbindung hingegen funktioniert wiederum sehr aufgeweckt – ich werde mich, was meinen
technolgical breakdown angeht, vorerst der Überzeugung hingeben, Kasachstan ist kaputt, nicht ich.
In der Dämmerung schlendere ich die Fußgängerzone
Arbat einmal hoch und wieder hinunter, heute ist hier Straßenfest, allerlei Kunst ist ausgestellt und eine zehnköpfige Jungsband groovt auf einer Bühne. Ich esse Lammvariante in einem Restaurant, das sich anscheinend als georgisch herausstellt, und bin kurz nach neun zurück im Hotel, wo ich bis morgens um zwei brav weiterschreibe.
Was den kommenden Tag angeht: Schwierig. Meinen eigentlichen Wandertag habe ich ja nun verschlafen. Ich könnte ihn morgen nachholen, bloß: Habe ich vom Goethe-Institut die Einladung, mich an einem Ausflug mit jungen Deutsch- und Journalistikstudenten zu beteiligen. Schwierig. Zwei meiner großen Leidenschaften stehen sich gerade unversöhnlich gegenüber: Menschen vs. Berge. Beides kann ich nicht haben.
Ich ringe den ganzen Tag mit der Entscheidung. Schließlich gewinnen die Menschen – Berge werden hoffentlich noch ausreichend meinen Weg kreuzen, doch diese Leute kann ich nur hier und morgen kennenlernen. Die Berge werden sich gedulden müssen (aber das können Berge ja ganz gut).
Auch ich muß mich gedulden. Freitagfrüh gab ich der Hotelrezeptionistin meinen Paß, für die notwendige polizeiliche Registrierung, er sollte am Abend zurück sein. Pustekuchen. Er ist immer noch nicht da. Was er mit dem Zugticket nach Ürümqi gemein hat, das hier für mich abgegeben werden sollte. Nun habe ich mich wegen der Zugtickets schon zweimal völlig unnötig wild gemacht, einmal in Buchara, einmal in Turkestan. Jetzt mache ich mich mal nicht wild, und wegen Wochenendes kann ich sowieso auch niemand anderen wild machen. Nach den großen Murphy’schen Universalgesetzen müßte das bedeuten, sobald ich mich
nicht wild mache, wird’s zum ersten Mal nicht klappen. Aber Herrgott – ohne Paß nützte mir auch das schönste Zugticket nichts, also was soll der Gram. Sorgen führen eh nur zu Likör, und den wollen wir heute abend mal tunlichst vermeiden.
leider, leider komme ich nach Almaty aus HAmburg ein Tag spaeter der Lesung von Tina Uebel zurueck.
Ich habe auch grosse ungewoehliche Eindrucke in Hh erhielten,
ja, es waere gut Ruckbeeindruecken untereinander zu teilen!
mit schoenem Gruss,
Prof. Mara Gubaidullina
Politologin, al-Farabi Universitaet Almaty
mit schoenem Gruss,
Mara Gubaidullina
(Falls einer der Admins dieser Seite mitliest: irgendwie scheint der RSS-Feed nicht zu funktionieren. Kann da mal einer nach gucken...? Würde so gerne ein Screenlet auf meinen Gnome-Desktop legen, das auf diesen Blog zeigt.)