Da eine kaffeefreie Existenz natürlich trotzdem nicht denkbar ist, bummele ich gemütlich zum
Coffeedelia. Um zwei erst treffe ich die Ausflügler beim Goethe-Institut, ich habe alle Zeit der Welt, trinke einen Eimer Café Latte, verspeise ein Croissant, nehme dann ein Taxi.
Tue ich nicht. Wer schon mal gereist ist, weiß, das Enervierendste unterwegs ist, die omnipräsenten Taxifahrer allüberall abzuschütteln,
Taxi? Taxi? lautet die nimmerschweigende Stimme der Welt. Es sei denn, man braucht mal eins. Dann herrscht tiefe Ruhe im Kosmos.
Keine Taxis. Ich stelle mich mit raushängender Hand an den Straßenrand, in der Gewißheit, irgendein Tarntaxi werde in den nächsten fünf Minuten umgehend anhalten.
Tut es nicht. Keine Taxis gleich welcher Provenienz. Ich lege einen dreißigminütigen gestreckten Galopp durch die halbe Stadt ein, südwärts, also bergauf. Habe ich schon erwähnt, daß heute die Sonne scheint? Und die dementsprechende zentralasiatische Hitze sengt?
Als ich über die Straße vorm Goethe-Institut presche, kommt mir inmitten der Fahrbahn ein Kleinbus entgegen, mein Instinkt rät mir, mich mit letzter Kraft vor dessen Kühler zu werfen – und siehe: Es handelt sich in der Tat um meine Ausflugsgruppe. Nun bin ich zwar als Lastdrücker-Woman berüchtigt, dies aber ist selbst für mich kein schlechter Stunt.
Der Kleinbus ist gefüllt mit den Teilnehmern eines einwöchigen interkulturellen Journalismusseminars – fünf junge Freie Journalisten aus Deutschland treffen zehn Studenten aus Zentralasien, die Germanistik, Journalistik oder Verwandtes studieren, oder am Journalismus Interesse zeigen. Kasachen, Usbeken, Kirgisen sind vertreten, vorwiegend weiblich. Sobald ich wieder atmen kann, plaudere ich mit einer Usbekin, die dank eines Au-pair-Jahres ausgezeichnet Deutsch spricht und im diplomatischen Dienst Karriere machen will.
Es ist ein unglaublich netter Haufen. Richtige Entscheidung, seinetwegen auf die Bergtour zu verzichten, und ein bißchen Berg gibt’s ja trotzdem zu sehen. Unser Bus fährt Richtung Süden, nach Butakovka, wo sich die hiesige Nomenklatura Villen ins hübsche Vorgebirge baut. Unter Führung Susanne Beckers vom Goethe-Institut laufen wir eineinhalb Stunden hoch zu einem Wasserfall – Wasserfälle waren mein Schicksal.
Die Landschaft ist von verblüffender Schweizeralmhaftigkeit. Selbst Kühe hat es, nur die Pferde im Hintergrund muß man halt in Photoshop wegmachen, aber das ist ja kein Problem, dann paßt’s. Es ist wunderschön. Mein innerer Bergfex juchzt und quengelt, ich muß ihn wohl in absehbarer Zeit mal auf eine Trekkingwoche hierher einladen. Gemächlich wandern wir den Pfad entlang und führen Gespräche, es ist auch für die Gruppe der erste Tag, ein allgemeines, großes, neugieriges Kennenlernen ist im Gange.
Deutsche im Ausland erkennt man übrigens, nicht nur hier sondern generell, an den vernünftigen Schuhen. Keine andere Nation trägt derart vernünftige Schuhe. Zentralasien ist zum Teil auf Flipflops unterwegs, nicht unproblematisch, das letzte Stück geht’s über Stock und Stein ein Bachbett empor. Die zwei Raucher, Juri aus Samarkand und ich, sind den Nichtrauchern meistens ein Stück voraus, wie er ganz richtig anmerkt.
Am Wasserfall gibt’s zunächst Wasserfallposing-Fotos, dann Picknick. Diverse andere Wandertrüppchen plantschen unterm Wasserfall, ich und Nikolas aus Berlin kneipen zumindest unsere Füße im Bach. Ich erfreue mich der Sonne, der Landschaft und einer Salamistulle, und wünschte wirklich, ich hätte wenigstens zwei, drei Tage länger Zeit für eine kleine Trekkingtour. Wieviel man auch reist, man reist immer zu wenig.
Gegen fünf Rückweg im warmen Spätnachmittagslicht, der Bus fährt uns in die Stadt, wir sind alle Mann hoch eingeladen zum Abendessen bei Susanne – und dort wird aufgetischt, ich erstarre in Ehrfurcht. Hatte ganz vergessen, daß der Mensch sich von anderem als Schaschlik ernähren kann.
Die Wohnung ist derart groß, es ist eine Erwägung wert, sich von der Küche zum Klo ein Taxi zu nehmen, und hat einen verglasten Balkon, der das Haus zur Hälfte umrundet. Wir Raucher sehen von hier dem Sonnenuntergang an Gebirgssilhouette zu, erzählen Reisegeschichten und Geschichten aus dem Rest der Welt. Sehr netter Herr Augustin ist ebenfalls zu uns gestoßen, man mischt sich drinnen und draußen zu wechselnden Grüppchen.
Juri und ich, als die beiden ernsthafteren Raucher, unterhalten uns länger, er erzählt mir vom Aralseedesaster. Wie er zwar darüber gelesen hatte, es dann aber dennoch einen gewaltigen Unterschied machte, selbst dort zu sein. Das faulige, übersalzene Duschwasser zu riechen, den Staub einzuatmen, die Menschen zu treffen, die durch das Verschwinden des Sees krank oder arbeitslos oder beides geworden seien.
Ich habe begriffen, dies ist Teil meines Landes, diese Leute sind sozusagen meine Nachbarn, so weit weg ist Samarkand nicht, sagt er. Als usbekischer Bürger liege all dies in auch seiner Verantwortung. Er verfügt zudem über ein erschöpfendes Fachwissen, nicht nur was den Aralsee angeht, sondern ebenso betreffend der Geschichte Usbekistans und der aktuellen ökonomischen Situation. Ich bin beindruckt von ihm, und als ich höre, unter der zentralasiatischen Jugend herrsche, der ewigen Dauerpräsidenten wegen, eine weitverbreitete Politikverdrossenheit, denke ich, jemand wie Juri ist die hoffnungsvolle und hoffentlich nicht einzige Ausnahme, die Regel zu bestätigen.
Wir speisen uns durch üppigen Salat mit Balsamico-Vinaigrette, Suppe, Gemüsepfanne, Chili con Carne, Wassermelone, Kekssortiments. Es gibt ein Leben jenseits des Schaschliks. Es gelingt mir gar, meine schwebende Plovverpflichtung zeitweise zu verdrängen.
Was ich zunehmend weniger verdrängen kann, ist meine fehlende Fahrkarte. Weil die ja bekanntlich abgängig ist, weiß ich nicht mal zu sagen, ob der Zug überhaupt morgen zu der Zeit fahren wird, zu der man ihn vermutet. Netter Herr Augustin wird tagsüber unterwegs sein, aber seine Freundin Asem bietet mir Hilfe an – die mir einst ausgehändigte Zuständigentelefonnummer „vor Ort“ muß irgendwo in Rußland liegen, und jemanden zu haben, der sich mit den dortigen Eingeborenen flüssig zu verständigen in der Lage ist, kann der Sache nur dienlich sein. Ich bin zutiefst dankbar, schon mal auf Vorschuß. Irgendwie findet der doofe Tourist doch stets mitleidigen Beistand.
Gegen elf werden vier Taxen gerufen – nein, ich will mich nicht an den Straßenrand stellen und eins winken, ich habe derzeit ein schlechtes Transportkarma –, die ganze Rasselbande wird von Susanne fachgerecht verstaut, ich hoffe, ich bekomme sie morgen Abend vor meiner Abfahrt noch mal zu Gesicht.
Falls ich denn abfahre. Dies, wie gesagt, eine derzeit noch übermütig offene Frage.