Hier klappt gar nichts, amüsant, habe ich doch das Große Nichtklappfestival erst in den Stans oder so erwartet. Weit gefehlt. Auch heute keinerlei Nachricht wegen des Iranvisums, ich setze per Mail den sehr netten Mann vom Teheraner Reisebüro darüber in Kenntnis, dann entscheide ich, vom Warten die Faxen dicke zu haben und mir jetzt das Ticket Hamburg–Sofia–Istanbul zu kaufen, bedarf es doch zweier Nachtzugreservierungen und somit einer gewissen Dringlichkeit. Sollte ich kein Visum kriegen, steige ich halt schon in Belgrad aus, tingele noch eine Woche durch den Balkan und nehme den Zug von Sofia eine Woche später, mit der Variante wäre dann nur geringfügig Ticket verschwendet. Und der Kauf einer Fahrkarte nach Istanbul scheint mir ja nun das geringfügigste meiner Probleme.
Doch siehe! Es müssen bei der letzten Kontinentalplattenverschiebung klammheimlich sämtliche Landmassen östlich von Sofia und westlich von Istanbul perdü gegangen sein. An ihrer Stelle klafft nun ein großes, bodenloses Loch. Kein Wunder, daß dort keine Züge fahren.
So jedenfalls stellt sich das Bild dar, das nach zwei Stunden im Bahn-Reisecenter Altona Form angenommen hat. Wir – ein enthusiastischer jungscher Typ am Schalter und ich – gamen an seinem Rechner sämtliche Zugverbindungen dieser Gebiete durch. Zwischendrin spielt er auch mal ein Level alleine und ich hole mir einen Kaffee. Die zwanzig Wartenden hinter mir empfinden, ich bin mir sicher, währenddessen tiefe Liebe für mich.
Keinerlei Zugverkehr im östlichen Bulgarien, in der westlichen Türkei oder im nördlichen Griechenland. Beziehungsweise sind natürlich ein ganzer Haufen Bahnverbindungen ausgewiesen, nur einbuchen lassen sie sich nicht; nach halbstündiger Telefonwarteschleife erreicht jungscher Bahntyp irgendeinen Systemadministrator, der behauptet, er hätte irgendwie mal gehört, da gäbe es jetzt Schienenersatzverkehr. Das sind ’ne Menge Busse bei mindestens drei betroffenen Ländern.
Ich kaufe mir ein Ticket bis Sofia und denke, mit der Zugverbindung nach Istanbul ist es ein bißchen wie mit Gott: Man kann Zeichen lesen, die auf ihre Existenz deuten, beweisen aber läßt sie sich nicht. Man muß halt glauben.
Noch im Bahnhof ruft mich sehr netter Mensch aus Teheraner Reisebüro an. Der Mann macht sich in der Tat krumm für mich, obgleich an mir ja nicht mal so recht was zu verdienen ist. Gerade hat er mehrfach im Hamburger Konsulat angerufen, wo es nun hieße, meine Visumsgenehmigung läge zwar angeblich vor, bloß mein Paß nicht. Man sage, ich solle dort morgen früh selbst erscheinen, mitsamt aller Reiseunterlagen und Bahntickets, plus einer Bescheinigung der Visumagentur über die Einreichung meines Passes.
Die Bahntickets Istanbul–Teheran und Teheran–Mesched liegen bei der Mutter vom sehr netten Menschen aus Teheraner Reisebüro. Ich fahre am frühen Abend in ihrer Hamburger Wohnung vorbei, und es wird erstmal auführlich geplaudert und Melone gegessen. Wenn der Rest der Iraner auch nur halb so beschämend nett ist wie diese beiden, muß ich meine grundlegende Menschenskepsis komplett überdenken. Wir verplaudern ein Stündchen, und sehr netter Mensch ruft auch noch mal an und sagt, wenn er an dem Abend Zeit hat, schwingt er sich auf’s Fahrrad und holt mich persönlich am Bahnhof Teheran ab. Die ganze übernächtigte Erledigungshektik der letzten Tage weicht sukzessive der typischen entspannten Reiserelaxtheit. So ist es halt, was immer passiert, passiert; und wenn was nicht klappt, passiert halt stattdessen was anderes. Und fast alles, was passiert oder nicht passiert, ist ziemlich amüsant. „Das Unbequeme, das Lästige, das Ärgerliche“ gehöre zum richtigen Reisen, so las ich unlängst Stefan Zweig zitiert. „Reisen soll Verschwendung sein, Hingabe der Ordnung an den Zufall, des Täglichen an das Außerordentliche ... retten wir uns dieses kleine Geviert Abenteuer in unserer allzu geordneten Welt.“ Ich bemühe mich um reiseadäquate Tiefenentspannung, sorge mich heute abend nicht mehr und gehe stattdessen runter an die Elbe, zum Tangotanzen mit Containerhafenblick in warmer Sommernacht.