Fröstelnd erreichen wir morgens Peking, bzw. Beijing, ich bleibe mal bei Peking, es heißt ja auch nicht Beijingente. Allein mit meinem Gepäckberg und ohne jede Ortskenntnis kann ich die Taxiwarteschlange diesmal nicht vermeiden. An der ersten, oberirdischen, an der ich vorbeikomme, stehen Dreiviertel der chinesischen Gesamtbevölkerung an, reihe ich mich hier ein, bin ich im Oktober noch nicht im Hotel. Ich finde eine unterirdische Alternative in einem Tunnel, wo lediglich das verbliebene Viertel steht, durch Seile in Reih und Glied kanalisiert, was kaum wen vom Vordrängeln abhält. Eigentlich nur mich. Ich bemühe mich ziemlich vergeblich, meinen Platz zu behaupten. Diese Schlange ist zwar nicht ganz so irrwitzig lang wie die oben, hat aber den Nachteil, daß kaum mal ein Taxis hier versehentlich vorbeikommt. Ich bemühe mich um zenbuddhistische Geduld und Fatalismus und werde nach eineinhalb Stunden tatsächlich mit einem Taxi belohnt.
Montag, 30. August 2010
30. August. Peking und Ente
Waren meine Unterkünfte bislang rein pragmatisch gewählt – von Hamburg buchbar, günstige Mittelklasse –, habe ich beschlossen, mich mit meiner letzten Übernachtung selbst zu begöschern, ich wohne im Hotel meines ersten Pekingbesuchs, ein überaus charmantes Hutong-Haus, um dessen zwei Innenhöfe sich die Zimmer gruppieren, herrlich kitschig chinesisch eingerichtet, man fühlt sich wie Yang Guifei höchstpersönlich. Pseudohistorienhotels können natürlich leicht in die Hose gehen, dieses hier aber hat irgendwie erstklassiges Fengshui, es gehört zu den ganz wenigen weltweit, die ich kenne, in denen man sich nicht wie im Hotel fühlt, sondern umgehend zu Hause.
Durch diesen Effekt merke ich, wie ich mich zu freuen beginne, übermorgen in Shanghai zu sein und bleiben zu können. Es ist dringend an der Zeit, zu bleiben. So gern ich vagabundiere, so schön ist es auch, irgendwo eine temporäre Heimat aufzuschlagen, den Rucksack auszupacken und geradezu öbszon viel Zeit zu haben, sich auf einen Ort einzulassen. Diese Chance zu bekommen, zwei Monate tatsächlich in China wohnen, leben, arbeiten zu dürfen, empfinde ich als unglaubliches Privileg. Die Freude darauf wird intensiviert durch die sieben rastlosen Wochen zuvor. Schon jetzt merke ich, wie sich meine Drehzahl ein bißchen verlangsamt.
Im Yang-Guifei-Modus wasche ich erstmal meine Haare und widme mich generellen Restaurierungsarbeiten. Ich glaube, ich sollte mir dringend zwei, drei urbankompatible Klamotten zulegen, in vier Tagen findet in Shanghai die offizielle Begrüßungsparty für uns sieben ausländische Schriftstellerstipendiaten statt, da würde ich ungern in meinem Indiana-Jones-meets-Apokalypse-Now-Outfit auflaufen.
Zunächst rufe ich Herrn Treter vom hiesigen Goethe-Institut an, wir verabreden, daß ich gegen 14 Uhr dort vorbeikomme. Bis dahin arbeite ich, lasse mir dann Goethes Adresse von den Hotelrezeptionistinnen auf Chinesisch notieren und nehme ein Taxi, denn für die U-Bahn bin ich wohl inzwischen mal wieder zu spät dran.
Für’s Taxi auch. Peking ist groß. Ich weiß das eigentlich, trotzdem ist Peking immer noch ein Stück größer als gedacht. Freue mich sehr, Herrn Treter und Zheng Hong endlich persönlich kennenzulernen, bislang tauschten wir nur nette Mails. Wir besorgen uns erstmal KAFFEE, und zwar einen großen Bottich Café Latte von Starbuck’s, der einzigen Gastrokette, die, was mich betrifft, gerne international die Welt verpesten darf. Und da mein letzter Rest Reisekaffee vorhin getrunken ward, kaufe ich zudem eine Packung frischgemahlenen Kaffee und bin darob begeistert.
Fünf Minuten später weiß auch noch die letzte Pekinger Mücke von meiner Ankunft und schlürft mich mit derselben Begeisterung wie ich meinen Venti Latte. Der smarte Tourist hat natürlich sowohl Autan wie Fenistil dabei, und beides im Hotel gelassen. Es juckt. Mann, wie es juckt.
Wir nehmen die U-Bahn zum Sommerpalast, den ich noch nicht kenne, bei meinem letzten und bislang einzigen Pekingbesuch warf mich eine miese, fiese Erkältung nieder, der Klimaanlage im Zug von Pjöngjang verdankt. Peking, Klimaanlagen und ich bilden ein unheiliges Gespann, die der letzten Nacht hat mich meiner Stimme beraubt, mir entfahren heute nur gespenstisch röchelnde Laute, wogegen keine Halstablette gewachsen ist; kann man nichts machen, außer morgen mal konsequent die Klappe halten.
Die Pekinger U-Bahn ist gut, höchst überschaubar und englisch beschildert. An jedem Eingang gibt’s einen Securitycheck, kann mich nicht daran erinnern, daß es den damals schon gegeben hätte. Während der Fahrt gelingt es mir endlich, vier weitere chinesische Wörter zu lernen, nämlich die für Osten, Westen, Norden, Süden, womit ich auf insgesamt sieben komme (die ersten drei sind Hallo, Danke, Prost). Die Chinesen und ich, wir schwingen nämlich im Einklang, was die Orientierung in der Welt angeht. Fragt man nach dem Weg, bekäme man nicht etwa Beschreibungen zu hören wie Nächste-links-dann-geradeaus-und-Übernächste-rechts-und-dann-beim-gelben-Haus-wieder-links, die Sorte Anweisungen, nach denen ich nicht mal meinen eigenen Ellenbogen finden könnte. Nein, hier hieße es: Nach Westen, dann zwei Blocks nach Süden, dann wieder nach Westen. Damit läßt sich was anfangen! Das ist ein Volk nach meinem Geschmack! In Shanghai ist gar West und Ost bzw. Nord und Süd auf den Straßenschildern vermerkt, man braucht nicht mal seinen Kompaß! Bin sehr begeistert.
Bin auch vom Sommerpalast begeistert. Wir bemühen uns nicht um eine systematisch touristische Abarbeitung der Anlage, sondern schlendern einfach herum, bergauf durch einen Park, dann hinunter zum großen See, auf dem reges Bootspartietreiben herrscht, was wir an Tempeln und Gebäuden unterwegs sehen, sehen wir uns an, dabei plaudern wir. Bzw. Herr Treter und Zheng Hong plaudern, ich krächze. An der Seepromenade promenieren wir, Zheng Hong kommentiert die diversen Reisegruppen, deren Führer oder Führerin stets elektronisch verstärkt durch einen Lautsprecher bellt, dahingehend, wie furchtbar sie Gruppenreisen finde, ich kann ihr nur beipflichten, aber das hört man grad nicht, weil’s aus drei verschiedenen Richtungen bellt. Wir promenieren bis zum berühmten Steinschiff, das aussieht wie ein Mississippi-Raddampfer, kehren dann um, wir sind zum Essen mit Zhou Wenhan verabredet, einem Journalisten und Reiseschriftsteller.
Eine Beobachtung am Rande: Der Chinese ist ein großer Bauchlüfter. Dies betreibt er hingebungsvoll und überall, nicht nur im Park, sondern auch auf den Straßen. Zur Bauchlüftung wird das T-Shirt oder Hemd bis unter die Achseln hochgekrempelt und dort fixiert. Ist aber ein rein männliches Privileg, den bei uns endemischen Bauchfreigirls diametral entgegengesetzt. Je umfangreicher die zu lüftende Ressource, um so malerischer der Gesamteindruck; Waschbrettbäuche, sonst ja ganz hübsch, machen gelüftet wenig her.
Die Bauchlüfterei war mir durchaus schon bekannt, neu und überraschend ist für mich der Mann, der seinen Rücken an einem Baum schabt. Er schubbert das Chi ab, sagt Herr Treter, ich dachte eher, er kratzt sich den Rücken, man kennt das ja von Bären. Vielleicht kombiniert er auch trickreich das Angenehme mit dem Nützlichen, könnte doch sein.
Per U-Bahn, jetzt zur Rush-hour reichlich voll, fahren wir Richtung Ente, große Pekingenten werfen ihre langen Schatten voraus, ein Novum für mich, da ich mich beim damaligen Pekingbesuch vorwiegend von Wick-Day-Med ernährte. Das Restaurant erweist sich als todschick und von erlesenem Design, nur die rechteckigen Tische ergeben wenig Sinn beim chinesischen Essen, wo die diversen Gerichte stets von allen geteilt werden und somit am runden Tisch mit drehbarer Mittelplatte praktischer zum Einsatz kommen.
Frau Treter sowie Zhou Wenhan plus Frau oder Freundin gesellen sich zu uns, ich könnte mich schwarz ärgern, wegen Stimmverlusts ausgerechnet heute kommunikativ behindert zu sein, denn eigentlich will ich natürlich gerne mit Zhou Wenhan Reisegeschichten austauschen. Der Tisch ist zudem zu breit, als daß Raunen eine Option wäre.
Zunächst wird bestellt, was bei der mehrbändigen Speisekarte eine logistische Herausforderung ist und nur zu bewältigen, in dem Herr Treter das Werk durcharbeitet und Zheng Hong die ausgewählten Speisen in den Notizblock diktiert. Die eigentliche Ente nämlich, so wird mir erklärt, sei nur ein Nebenschauplatz.
Dementsprechend gibt es unglaubliche Mengen von allem Möglichen, das wie stets eine – bzw. viele – kulinarische Offenbarung darstellt. Man weiß gar nicht, wo man hinessen soll. Die berühmte Ente wird, nachdem sie in feurigem Ofen gegart wurde, von einem Entenbeaufragten am Tisch zerlegt, die Haut, unnachahmlich kross, stippt man in Zucker. Klingt eklig, schmeckt aber toll. Das Fleisch wird in hauchdünne Teigfladen gewrapt, mit allerlei Ergänzendem dazu, auf einer Ergänzungspalette gereicht. Eine Entenerklärerin kommt zu mir und weist mich in die fachgerechte Entenbedienung ein. Es ist, was sonst, köstlich.
Ich übrigens ordere dazu, auch wenn’s total unchinesisch ist, Reis als Beilage, eine europäische Präferenz. Aber so interessiert ich vieles adaptiere, man muß es nicht zwingen, finde ich, würde ich doch auch keinen Chinesen scheel ansehen, der in Deutschland auf Kartoffeln verzichten möchte und lieber Tee statt Kaffee trinkt. Und, in der Tat, wie Kommentator Bernd anmerkte: Ja, man trinkt hier gern und viel warmes Wasser. Das zum Beispiel muß ich so ganz und gar nicht adaptieren.
Das Gespräch findet größtenteils auf Chinesisch statt, Herr Treter übersetzt mir das Wesentliche. Zhou Wenhan und ich werden uns im Oktober in Peking zu einer Lesung mit Podiumsgespräch treffen, wir überlegen, welche Richtung das nehmen könnte. Ich finde interessant, daß er sagt, er sei ein stummer Reisender – ein konträrer Ansatz zu dem meinen, die ich ja als Gesprächsjunkie reise. Den Faden würde ich gerne weiterverfolgen, falls ich eines Tages mal meine Stimme zurückhabe. Er ist viel in Südostasien unterwegs gewesen, sein besonderes Interesse gilt kolonialer Architektur, wir unterhalten uns ein bißchen über Kambodscha. Er war unlängst dort, ich vor zehn Jahren, wieder einmal fällt mir auf, wie elementar wichtig beim Reisen die vierte Dimension ist, die Zeit. Erzählt man, wo man gewesen ist, gehört unweigerlich die Verortung in der Zeit dazu. Phnom Penh ist heute ein ganz anderer Ort, als es das vor zehn Jahren war.
Der Abend ist unglaublich nett, und zum Nachtisch gibt es endlich mal was, das nicht gut schmeckt, nämlich eine Getreidepampe, die einfach nach überhaupt nichts schmeckt, interessant, sowas also kommt auch vor. Man bevorzuge zum Abschluß etwas Geschmacksneutrales, wird mir erklärt, Suppe oder Pampe; nehme an, dies dient dazu, das Mahl schnell in Vergessenheit geraten zu lassen, um das nächste in Angriff nehmen zu können.
Wir verabschieden uns und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen, verteilen uns auf Taxis und Fahrräder, ich schlafe in meinem Himmelbett, man kann es nicht anders sagen, quasi kaiserlich.
Hotelgemach-Wohlfühlkitsch
Durch diesen Effekt merke ich, wie ich mich zu freuen beginne, übermorgen in Shanghai zu sein und bleiben zu können. Es ist dringend an der Zeit, zu bleiben. So gern ich vagabundiere, so schön ist es auch, irgendwo eine temporäre Heimat aufzuschlagen, den Rucksack auszupacken und geradezu öbszon viel Zeit zu haben, sich auf einen Ort einzulassen. Diese Chance zu bekommen, zwei Monate tatsächlich in China wohnen, leben, arbeiten zu dürfen, empfinde ich als unglaubliches Privileg. Die Freude darauf wird intensiviert durch die sieben rastlosen Wochen zuvor. Schon jetzt merke ich, wie sich meine Drehzahl ein bißchen verlangsamt.
Im Yang-Guifei-Modus wasche ich erstmal meine Haare und widme mich generellen Restaurierungsarbeiten. Ich glaube, ich sollte mir dringend zwei, drei urbankompatible Klamotten zulegen, in vier Tagen findet in Shanghai die offizielle Begrüßungsparty für uns sieben ausländische Schriftstellerstipendiaten statt, da würde ich ungern in meinem Indiana-Jones-meets-Apokalypse-Now-Outfit auflaufen.
Zunächst rufe ich Herrn Treter vom hiesigen Goethe-Institut an, wir verabreden, daß ich gegen 14 Uhr dort vorbeikomme. Bis dahin arbeite ich, lasse mir dann Goethes Adresse von den Hotelrezeptionistinnen auf Chinesisch notieren und nehme ein Taxi, denn für die U-Bahn bin ich wohl inzwischen mal wieder zu spät dran.
Für’s Taxi auch. Peking ist groß. Ich weiß das eigentlich, trotzdem ist Peking immer noch ein Stück größer als gedacht. Freue mich sehr, Herrn Treter und Zheng Hong endlich persönlich kennenzulernen, bislang tauschten wir nur nette Mails. Wir besorgen uns erstmal KAFFEE, und zwar einen großen Bottich Café Latte von Starbuck’s, der einzigen Gastrokette, die, was mich betrifft, gerne international die Welt verpesten darf. Und da mein letzter Rest Reisekaffee vorhin getrunken ward, kaufe ich zudem eine Packung frischgemahlenen Kaffee und bin darob begeistert.
Fünf Minuten später weiß auch noch die letzte Pekinger Mücke von meiner Ankunft und schlürft mich mit derselben Begeisterung wie ich meinen Venti Latte. Der smarte Tourist hat natürlich sowohl Autan wie Fenistil dabei, und beides im Hotel gelassen. Es juckt. Mann, wie es juckt.
Wir nehmen die U-Bahn zum Sommerpalast, den ich noch nicht kenne, bei meinem letzten und bislang einzigen Pekingbesuch warf mich eine miese, fiese Erkältung nieder, der Klimaanlage im Zug von Pjöngjang verdankt. Peking, Klimaanlagen und ich bilden ein unheiliges Gespann, die der letzten Nacht hat mich meiner Stimme beraubt, mir entfahren heute nur gespenstisch röchelnde Laute, wogegen keine Halstablette gewachsen ist; kann man nichts machen, außer morgen mal konsequent die Klappe halten.
Die Pekinger U-Bahn ist gut, höchst überschaubar und englisch beschildert. An jedem Eingang gibt’s einen Securitycheck, kann mich nicht daran erinnern, daß es den damals schon gegeben hätte. Während der Fahrt gelingt es mir endlich, vier weitere chinesische Wörter zu lernen, nämlich die für Osten, Westen, Norden, Süden, womit ich auf insgesamt sieben komme (die ersten drei sind Hallo, Danke, Prost). Die Chinesen und ich, wir schwingen nämlich im Einklang, was die Orientierung in der Welt angeht. Fragt man nach dem Weg, bekäme man nicht etwa Beschreibungen zu hören wie Nächste-links-dann-geradeaus-und-Übernächste-rechts-und-dann-beim-gelben-Haus-wieder-links, die Sorte Anweisungen, nach denen ich nicht mal meinen eigenen Ellenbogen finden könnte. Nein, hier hieße es: Nach Westen, dann zwei Blocks nach Süden, dann wieder nach Westen. Damit läßt sich was anfangen! Das ist ein Volk nach meinem Geschmack! In Shanghai ist gar West und Ost bzw. Nord und Süd auf den Straßenschildern vermerkt, man braucht nicht mal seinen Kompaß! Bin sehr begeistert.
Bin auch vom Sommerpalast begeistert. Wir bemühen uns nicht um eine systematisch touristische Abarbeitung der Anlage, sondern schlendern einfach herum, bergauf durch einen Park, dann hinunter zum großen See, auf dem reges Bootspartietreiben herrscht, was wir an Tempeln und Gebäuden unterwegs sehen, sehen wir uns an, dabei plaudern wir. Bzw. Herr Treter und Zheng Hong plaudern, ich krächze. An der Seepromenade promenieren wir, Zheng Hong kommentiert die diversen Reisegruppen, deren Führer oder Führerin stets elektronisch verstärkt durch einen Lautsprecher bellt, dahingehend, wie furchtbar sie Gruppenreisen finde, ich kann ihr nur beipflichten, aber das hört man grad nicht, weil’s aus drei verschiedenen Richtungen bellt. Wir promenieren bis zum berühmten Steinschiff, das aussieht wie ein Mississippi-Raddampfer, kehren dann um, wir sind zum Essen mit Zhou Wenhan verabredet, einem Journalisten und Reiseschriftsteller.
Kaiserlicher Mississippi-Dampfer
Eine Beobachtung am Rande: Der Chinese ist ein großer Bauchlüfter. Dies betreibt er hingebungsvoll und überall, nicht nur im Park, sondern auch auf den Straßen. Zur Bauchlüftung wird das T-Shirt oder Hemd bis unter die Achseln hochgekrempelt und dort fixiert. Ist aber ein rein männliches Privileg, den bei uns endemischen Bauchfreigirls diametral entgegengesetzt. Je umfangreicher die zu lüftende Ressource, um so malerischer der Gesamteindruck; Waschbrettbäuche, sonst ja ganz hübsch, machen gelüftet wenig her.
Die Bauchlüfterei war mir durchaus schon bekannt, neu und überraschend ist für mich der Mann, der seinen Rücken an einem Baum schabt. Er schubbert das Chi ab, sagt Herr Treter, ich dachte eher, er kratzt sich den Rücken, man kennt das ja von Bären. Vielleicht kombiniert er auch trickreich das Angenehme mit dem Nützlichen, könnte doch sein.
Per U-Bahn, jetzt zur Rush-hour reichlich voll, fahren wir Richtung Ente, große Pekingenten werfen ihre langen Schatten voraus, ein Novum für mich, da ich mich beim damaligen Pekingbesuch vorwiegend von Wick-Day-Med ernährte. Das Restaurant erweist sich als todschick und von erlesenem Design, nur die rechteckigen Tische ergeben wenig Sinn beim chinesischen Essen, wo die diversen Gerichte stets von allen geteilt werden und somit am runden Tisch mit drehbarer Mittelplatte praktischer zum Einsatz kommen.
Frau Treter sowie Zhou Wenhan plus Frau oder Freundin gesellen sich zu uns, ich könnte mich schwarz ärgern, wegen Stimmverlusts ausgerechnet heute kommunikativ behindert zu sein, denn eigentlich will ich natürlich gerne mit Zhou Wenhan Reisegeschichten austauschen. Der Tisch ist zudem zu breit, als daß Raunen eine Option wäre.
Zunächst wird bestellt, was bei der mehrbändigen Speisekarte eine logistische Herausforderung ist und nur zu bewältigen, in dem Herr Treter das Werk durcharbeitet und Zheng Hong die ausgewählten Speisen in den Notizblock diktiert. Die eigentliche Ente nämlich, so wird mir erklärt, sei nur ein Nebenschauplatz.
Dementsprechend gibt es unglaubliche Mengen von allem Möglichen, das wie stets eine – bzw. viele – kulinarische Offenbarung darstellt. Man weiß gar nicht, wo man hinessen soll. Die berühmte Ente wird, nachdem sie in feurigem Ofen gegart wurde, von einem Entenbeaufragten am Tisch zerlegt, die Haut, unnachahmlich kross, stippt man in Zucker. Klingt eklig, schmeckt aber toll. Das Fleisch wird in hauchdünne Teigfladen gewrapt, mit allerlei Ergänzendem dazu, auf einer Ergänzungspalette gereicht. Eine Entenerklärerin kommt zu mir und weist mich in die fachgerechte Entenbedienung ein. Es ist, was sonst, köstlich.
Ich übrigens ordere dazu, auch wenn’s total unchinesisch ist, Reis als Beilage, eine europäische Präferenz. Aber so interessiert ich vieles adaptiere, man muß es nicht zwingen, finde ich, würde ich doch auch keinen Chinesen scheel ansehen, der in Deutschland auf Kartoffeln verzichten möchte und lieber Tee statt Kaffee trinkt. Und, in der Tat, wie Kommentator Bernd anmerkte: Ja, man trinkt hier gern und viel warmes Wasser. Das zum Beispiel muß ich so ganz und gar nicht adaptieren.
Dinnerrunde mit Ente
Das Gespräch findet größtenteils auf Chinesisch statt, Herr Treter übersetzt mir das Wesentliche. Zhou Wenhan und ich werden uns im Oktober in Peking zu einer Lesung mit Podiumsgespräch treffen, wir überlegen, welche Richtung das nehmen könnte. Ich finde interessant, daß er sagt, er sei ein stummer Reisender – ein konträrer Ansatz zu dem meinen, die ich ja als Gesprächsjunkie reise. Den Faden würde ich gerne weiterverfolgen, falls ich eines Tages mal meine Stimme zurückhabe. Er ist viel in Südostasien unterwegs gewesen, sein besonderes Interesse gilt kolonialer Architektur, wir unterhalten uns ein bißchen über Kambodscha. Er war unlängst dort, ich vor zehn Jahren, wieder einmal fällt mir auf, wie elementar wichtig beim Reisen die vierte Dimension ist, die Zeit. Erzählt man, wo man gewesen ist, gehört unweigerlich die Verortung in der Zeit dazu. Phnom Penh ist heute ein ganz anderer Ort, als es das vor zehn Jahren war.
Der Abend ist unglaublich nett, und zum Nachtisch gibt es endlich mal was, das nicht gut schmeckt, nämlich eine Getreidepampe, die einfach nach überhaupt nichts schmeckt, interessant, sowas also kommt auch vor. Man bevorzuge zum Abschluß etwas Geschmacksneutrales, wird mir erklärt, Suppe oder Pampe; nehme an, dies dient dazu, das Mahl schnell in Vergessenheit geraten zu lassen, um das nächste in Angriff nehmen zu können.
Wir verabschieden uns und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen, verteilen uns auf Taxis und Fahrräder, ich schlafe in meinem Himmelbett, man kann es nicht anders sagen, quasi kaiserlich.
vielen herzlichen Dank für die wundervollen Eindrücke über China. Ich habe Ihre Reiseberichte mit großem Interesse gelesen. Eine echte Erfahrung für jedermann.
Viele Grüße
Um ehrlich zu sein verstehe ich deine Reaktion darauf nicht wirklich. Meine
Reaktion wäre: aha, interessant. Hier ist
es was ganz anderes.
Ich mag den intellektuellen Unterton in
deinen Artikeln gar nicht.