Zur Besichtigung des Mausoleums muß sämtliches Gepäck abgegeben werden, eingedenk meiner Erfahrung mit dem Maschhader Schrein deponiere ich auch Feuerzeug und Zigaretten, smart move, ersteres wäre sonst flöten gewesen, da sage noch einer, Reisen würde nicht bilden.
Die Menge der Besucher ist groß, wird aber zügig und diszipliniert durchgeschleust. Ich kann mich hiermit jetzt rühmen, die drei großen Ausgestopften gesehen zu haben, Mao, Lenin, Kim Il Sung. Der Große Vorsitzende ruht vergleichsweise bescheiden, ich las, er selbst habe ein öffentliches Mausoleum gar nicht gewollt. Viele Besucher erwerben gelbe Blumen, die sie im Foyer vor einer Marmorstatue Maos ablegen. Zur Rechten wie zur Linken ziehen die Besucherströme dann an dem gläsernen Sarkophag vorbei, in dem Mao liegt und wächsern aussieht. Das Mausoleum protzt wenig, kein Vergleich mit dem Pomp Kim Il Sungs. (Meine Erinnerungen an Lenin sind etwas verschwommen, ich geriet versehentlich dort in eine Stalinistendemo zu dessen Todestag, aus der man nicht wieder ausscheren durfte, und war vom Stalinistentreiben etwas abgelenkt.)
Ich schlendere über den Tian’anmen, der genauso unglaublich groß ist, wie ich ihn erinnere, laufe dann auf einer Einkaufsmeile nach Norden. Es macht Spaß, mal wieder in einer richtigen modernen Großstadt zu sein, soviel Spaß, daß ich es gar ohne Klaustrophobieanfälle schaffe, eine Mall zu betreten und dort zwei Hemdchen und eine Hose zu erwerben, in denen man mich zu gesellschaftlichen Anlässen schamfrei präsentieren kann. Höre aus einigen Boutiquen hippe Musik, bei der ich denke, oh, cool, was das wohl ist; auch schön, war man mal ein paar Wochen auf Entzug.
Ebenfalls ein bißchen entzügig bin ich, was Stadtwanderungen angeht, und so laufe ich neun Stunden durch Peking. Komme durch den Beihai-Park, in dem es historische Tempel und Pagoden zu sehen gibt, und am alten Glocken-und-Trommelturm vorbei, gehe mich dann in den Gäßchen der Hutongviertel verirren, auch etwas, das man dringend in Peking tun muß. Beim Konfuziustempel tauche ich wieder auf, allerdings um kurz vor 18 Uhr, als dieser gerade schließt. Schade eigentlich. Trotzdem ein hervorragender Spaziergang, der ganz ungeplant Moderne und Geschichte, Kommerz und Kultur, Wolkenkratzer und Hutonghäuschen verband. Auf der Dongsi-Straße, die letztlich zum Hotel führen wird, versorge ich mich ein letztes Mal mit Reiseproviant, bin um 19 Uhr im Hotel, hole meine Habseligkeiten, stelle mich dann an die Straße, um kein Taxi zu nehmen.
Verdammt. Kein Taxi. Ich behielt das schon seit Stunden im Auge, wie’s um die Taxisituation so bestellt ist, bis eben noch fuhren ausreichend freie Taxen herum, jetzt natürlich: Kein einziges.
Ich wanke zur nächsten Kreuzung. Ich schleppe mich zu zwei Luxushotels, vor denen auch kein Taxi steht. Ich wanke zur Kreuzung zurück. Ich wechsele die Straßenseite. Zeit vergeht, das Laub der Bäume beginnt sich zu verfärben, erster Schnee fällt. Ein freies Taxi fährt vorbei, aus dem Nichts tauchen Chinesen auf und sind schneller als ich. Goodbye, Shanghai.
Oder auch nicht. Es hält doch noch ein Taxi, das ich mir nicht abjagen lasse. Per Zettelchen gebe ich meinen Wunsch kund, zum Südbahnhof zu wollen, und erreiche diesen rechtzeitig. Zwar denke ich kurz, man hätte mich falsch verstanden und am Flughafen abgeliefert, es handelt sich aber tatsächlich um den Bahnhof. Mann, ist das ein Bahnhof. Sagt’s nicht Fuhlsbüttel weiter, das bekäme sonst Komplexe. Das Einchecken verläuft airportmäßig über Gates und gestaltet sich problemfrei.
Ein weiterer Businessclasszug – und der erste seit Europa, in dem überall Rauchverbot herrscht. Fies, hat sich China doch bislang sehr zu meinem Wohlwollen als Raucherland herausgestellt, besonders in Ürümqi und Xi’an, wo Hu Fan der wahrscheinlich einzige Nichtraucher provinzweit ist. Peking und Shanghai allerdings haben Rauchverbotsgesetze, letzteres erst seit sechs Monaten, wie ich in der Zeitung lesen werde, schlechtes Timing meinerseits, tja.
Ich rauche noch schnell Stücker Zwei auf dem futuristischen Bahnsteig. Der Zug ist voll mit Touristen, hier also habe ich sie wieder eingeholt, meine Spezies. Im Abteil zwei chinesische Geschäftsleute, der eine spricht Englisch, wie nett, wir können uns ein bißchen unterhalten. Er fährt geschäftlich nach Shanghai und erzählt mir, wie lästig vieles während der Olympiade für die Pekinger war, der ganzen Einschränkungen des täglichen Lebens wegen. Einige der Wettbewerbe hat er sich aber auch angesehen. Sein Freund kommt gerade aus dem Urlaub in Tibet, er ist dort per Bahn gewesen, auf der berühmten neuen Eisenbahnstrecke, der höchsten der Welt. In allerletzter Sekunde springt noch ein Backpacker an Bord, ein junger Typ aus Mexico City, mit dem ich ebenfalls plaudere. Er hat einen Freund hier besucht und ist mit dem vier Wochen herumgereist, in eher kleineren Städten; anstrengend sagt er, und ohne Chinesischkenntnisse bzw. einen Freund mit Chinesischkenntnissen nicht zu machen. Ein letzter traditioneller Bahnnudeltopf zum Abendbrot und ein paar Seiten
Stolz und Vorurteil, dann lösche ich mein Lämpchen, das verblüffenderweise hell genug zum Lesen ist.
Bin ich aufgeregt, morgen in Shanghai anzukommen? Ja, bin ich! Und wie.