Da weiterführende Recherchen ergaben, das Mittherbstfest sei ein Fest der Familienvereinigung, zu dem man den Nächsten und Liebsten Mooncakes schenkt – die Verpackungen sind überaus aufwendig und von ergreifender Schönheit –, brachte ich in damaliger Unkenntnis des eigentlichen Geschmackserlebnisses meiner Mutter eine Schachtel nach Hamburg mit, und hoffe seither, sie ist mir desob nicht gram. Außer zum Mooncakeverzehr trifft man sich, so heißt es, in dieser Nacht, um den Mond anzusehen, der schöner, größer, runder und generell mondiger sein soll als in jeder anderen Nacht des Jahres. Erwartungsgemäß regnet es heute Bindfäden.
Das Studium von
Traditional Chinese Festivals in China, neuerworben im English Language Bookstore, fächert zum Festival etliche verworrene Mythen auf, alle Mythen gestalten sich, so heißt es, eher verworren, in China, groß und multiethnisch wie es ist, macht man sich überall variantenreiche Reime auf jeden grundlegenden Mythos. Als sicher gilt, daß dem Mittherbstfest eine gewisse Hasenlastigkeit innewohnt, was mit einem Kanninchen, daß vor dem Mondpalast Kräuter stampft, zu tun haben muß. Das Kanninchen wurde früher, laut
Traditional Chinese Festivals in China, ebenso angebetet wie der Mond selbst, dem zu dieser Gelegenheit entweder Kaiser Ming oder Unsterblicher Zhang Guolao oder Mönch Ye Fashan einen Besuch abgestattet haben soll. Aus der Hasenthematik resultiert übrigens auch Ohrenzwang zur Mittherbstmilonga, aber das ist ein anderes Thema.
Hauptthema sind immer noch die Mooncakes. Überall in der Stadt sieht man endlose Schlangen, bisweilen zwei Häuserblocks lang, wie ich sie derart nur aus Berichten von Nachkriegsmangelwirtschaft kenne, vor den offensichtlich beliebtesten Mooncakeverkaufsgeschäften. Vielleicht schmecken die garstigen kleinen Batzen dort besser, ich kann’s nicht sagen, mich schrecken Schlangen. Um die schier unendliche Nachfrage zu decken, tauchen zudem allerorts Partisanenmooncakeverkäufer auf, die aus Kleinlastwagen oder in Hofeingängen ihr temporäres Business errichten und sofort flashmobmäßig überrannt werden. Alles soweit überaus prächtig, man fragt sich natürlich, ob es nicht lohnenswerter wäre, das ganze Buhei um etwas ernstlich Eßbares und womöglich Schmackhaftes zu inszenieren, muß ja aber auch bekanntlich nicht immer alles verstehen, geheimnisvolles Asien. Und Schokoladennikoläuse schmecken schließlich auch scheiße.
Da Mondbetrachtung des Regens wegen ausfällt und unsere Familien fern sind, gehen Birgitta und ich abends in die Oper, eine Shanghaioper-Sonderaufführung zum Mittherbstfest. Ich weiß zwar, daß es Unmengen verschiedener chinesischer Opern gibt, von der die berühmte Pekingoper nur eine ist, war aber bislang in gar keiner. Ich bin etwas in Sorge, las ich doch unlängst ein Zitat in etwa dahingehend, daß chinesische Oper sich ungefähr so anhört, als trete man simultan auf 10.000 Katzen, während ein mit Schlagzeugen beladener Lastkraftwagen mit Vollkaracho gegen eine Ziegelmauer fährt. Andererseits: Habe ich die Radioschreier im Hartklassenzug überstanden, was also soll mich noch schrecken.
Und siehe, eigentlich vergnüge ich mich ganz gut. Kostüme und hochstilisierte Bewegungskunst sind ein Augenschmaus, auch die Musik gefällt mir, wenngleich in der Arie der weiblichen Heldin die zertretenen Katzen durchaus anklingen. Leider nur ist das Stück unglaublich dialoglastig, und die Untertitel rechts der Bühne auf Chinesisch und links der Bühne auf Chinesisch. Somit habe ich nicht die leiseste Ahnung, was zum Henker hier vor sich geht. Gleich der Anfangsdialog ist gut zwanzigminütig, Kulturgenuß geht nicht immer mit Leidensfreiheit einher. Nach eineinhalb Stunden, kurz vor der Pause, rücken dann aber drei Götter ein und bringen ein bißchen Leben in die Bude. Daß Birgitta und ich in der Pause trotzdem das Handtuch werfen und lieber noch einen Drink mit Stadtblick aus dem 65. Stock der Meridien-Bar nehmen, werde ich hier unerwähnt lassen, um meine Banausenhaftigkeit nicht allzu öffentlich zu machen. Gilt es doch, wie man immer wieder liest, in China stets das Gesicht zu wahren.